Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
Vom Netzwerk:
Würdenträger Kardinal Pierre de Bérulle (1575–1629), war von der Klarheit und Scharfsinnigkeit seines Denkens zutiefst beeindruckt. Viele drängten ihn, seine Gedanken der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bei jedem anderen jungen Mann hätten solch väterliche Weisheiten womöglich dieselbe kontraproduktive Wirkung ausgeübt wie der zweisilbige Karriereratschlag «Kunststoff» auf Dustin Hoffman in dem Film
Die Reifeprüfung,
aber Descartes war anders. Da er sich bereits dem Ziel verschrieben hatte, nach der Wahrheit zu streben, war er leicht zu gewinnen. Er zog in die Niederlande, die zu jener Zeit ein ruhigeres intellektuelles Milieu boten, und produzierte die nächsten zwanzig Jahre hindurch ein Glanzstück nach dem anderen.
    Sein erstes Meisterwerk über die Grundlagen von Wissenschaft –
Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la verité dans les sciences
(«Bericht über die Methode, die Vernunft richtig zuführen und die Wahrheit in den Wissenschaften zu erforschen») – veröffentlichte Descartes im Jahr 1637 (Abbildung 22 zeigt das Titelblatt der Erstauflage). Drei in Anwendung dieser Methode verfasste brillante Anhänge –
Dioptrique
(«Lichtbrechungslehre»),
Les Météores
(«Die Himmelskörper») und
La Géométrie
(«Die Geometrie») – komplettieren das Werk. Als Nächstes folgten 1641 die
Meditationes de Prima Philosophia
(«Meditationen über die erste Philosophie») und 1644 die
Principia philosophiae
(«Die Prinzipien der Philosophie»). Zujener Zeit war Descartes’ Ruhm in ganz Europa sprichwörtlich, und er konnte zu seinen Bewunderern und Briefpartnern auch die im Exil lebende Elisabeth, Prinzessin von Böhmen (1618–1680), zählen. Im Jahr 1649 wurde er eingeladen, die junge Königin Christine von Schweden (1626–1689) in Philosophie zu unterweisen. Descartes, der schon immer eine Schwäche für alles Königliche gehabt hatte, nahm die Einladung dankend an. Ja, sein Brief an die Königin strotzt dermaßen von höfischer Artigkeit, wie sie im 17. Jahrhundert gebräuchlich war, dass es für uns heute fast ein wenig lächerlich wirkt: «Und da ich besonders ausdrücklich erkläre, zur Zahl derjenigen zu gehören, die die Tugend lieben … und daher sich glücklich schätzen müssen [der Königin] irgendeinen Dienst zu erweisen, wage ich hiermit Eurer Majestät zu beteuern, daß sie mir nichts so Schwieriges befehlen könnte, als daß ich nicht immer bereit wäre, mein möglichstes zu tun, um es auszuführen; und wenn ich geborener Schwede oder Finnländer wäre, könnte ich nicht mit mehr Eifer und vollkommener sein, als ich bin.» Die dreiundzwanzigjährige Königin mit dem eisernen Willen bestand darauf, dass Descartes ihr zu unchristlicher Stunde – um fünf Uhr in der Frühe – seinen Unterricht zu erteilen hatte. In einem Land, das – wie Descartes an einen Freund schrieb – so kalt sei, dass dort selbst die Gedanken einfrören, erwies sich dies als tödlich. «… ich bin hier nicht in meinem Element», schrieb Descartes, «und ich ersehne allein jene Stille und Ruhe, die solche Güter darstellen, wie sie die mächtigsten Könige der Erde denen nicht geben können, die sie sich nicht selbst zu nehmen wissen.» Nur wenige Monate vermochte Descartes dem klirrend kalten schwedischen Winter und jenen dunklen Morgenstunden zu trotzen, die er sein ganzes Leben zu meiden gewusst hatte. Er zog sich eine Lungenentzündung zu und starb im Alter von 53 Jahren am 11. Februar 1650 um vier Uhr morgens – gerade so, als habe er sich einen weiteren Weckruf ersparen wollen. Der Mann, dessen Werk für die Wissenschaft die Ära der Moderne eingeläutet hatte, fiel seinem eigenen Hang zum Höheren und den Capricen einer jungen Königin zum Opfer.

    Abbildung 22
    Descartes wurde in Schweden begraben, aber seine sterblichen Überreste – oder zumindest ein Teil davon – wurden 1667 nach Frankreich überführt. Dort wurden seine Gebeine mehrmals umgebettet und am 26. Februar 1819 schließlich in der Eglise Saint-Germain-des-Prés beigesetzt. In der dem heiligen Benedikt geweihten Seitenkapelle ist seine Grabplatte zu sehen. Ein Schädel, der angeblich der von Descartes gewesen sein soll, ging in Schweden von Hand zu Hand, bis er von dem Chemiker Berzelius erstanden wurde, der ihn nach Frankreich überführte. Gegenwärtig befindet sich dieser Schädel im Pariser Musée de l’Homme, das dem Muséum national d’histoire naturelle (dem französischen

Weitere Kostenlose Bücher