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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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Koordinatenursprung hat übrigens die Koordinaten 0, 0.) Nehmen Sie nun an, wir wollten irgendwie alle Punkte in der Ebene definieren, die einen Abstand von genau 5 Einheiten vom Ursprung haben. Damit habenwir nichts anderes getan, als einen Kreis um den Ursprung mit einem Radius von 5 Einheiten (Abbildung 24b) geometrisch genau definiert. Betrachten Sie nun den Punkt (3, 4) auf diesem Kreis, werden Sie feststellen, dass dieser die Gleichung 3 2 + 4 2 = 5 2 erfüllt. Ja, es lässt sich (mittels des Pythagoras-Satzes) völlig problemlos zeigen, dass die Koordinaten (x,
y)
für jeden Punkt auf diesem Kreis die Gleichung
x 2
+
? 2
= 5 2 erfüllen. Hinzu kommt, dass die Punkte auf dem Kreis die einzigen Punkte in der Ebene sind, für die diese Gleichung (x 2 +
? 2
= 5 2 ) gilt. Das bedeutet, dass die Gleichung
x 2
+
y 2
= 5 2 allein und eindeutig diesen Kreis definiert. Mit anderen Worten: Descartes hatte einen Weg gefunden, geometrische Kurven durch eine algebraische Gleichung, sprich: numerisch, darzustellen und umgekehrt. Für einen einfachen Kreis mag das nicht übermäßig aufregend scheinen, aber jede Kurve, die Ihnen in Ihrem Leben bereits untergekommen ist – handle es sich nun um das wöchentliche Auf und Ab des Aktienmarktes, die Temperaturen am Nordpol im Verlauf des letzten Jahrhunderts oder die Geschwindigkeit, mit der das Universum expandiert –, basiert auf Descartes’ genialer Idee.

    Abbildung 23
    Plötzlich waren Geometrie und Algebra keine getrennten Zweige der Mathematik mehr, sondern vielmehr zwei Darstellungsformenderselben Wahrheit. Die Gleichung, die eine Kurve beschreibt, beschreibt automatisch auch jede nur denkbare Eigenschaft dieser Kurve, darunter zum Beispiel sämtliche Aussagen der euklidischen Geometrie. Und das war noch nicht alles. Descartes zeigte, dass sich in ein und dasselbe Koordinatensystem verschiedene Kurven einzeichnen lassen und man deren Schnittpunkt bestimmen kann, indem man einfach die Lösungen bestimmt, die den algebraischen Gleichungen beider Kurven gemeinsam sind. Auf diese Weise brachte er es fertig, sich die Stärken der Algebra zunutze zu machen, um wettzumachen, was er als bedauerliche Unzulänglichkeiten der klassischen Geometrie empfand. So hatte Euklid zum Beispiel einen Punkt als unteilbares Element ohne Größenausdehnung definiert («Ein Punkt ist, was keine Teile hat»). Dadurch, dass es Descartes gelungen war, einen Punkt in der Ebene durch ein Zahlenpaar (x, y) eindeutig zu definieren, war diese einigermaßen undurchsichtige Definition auf immer überholt. Diese beiden Erkenntnisse aber waren nur die Spitze des Eisbergs. Wenn sich zwei Größen
x
und
y
in einer solchen Weise zueinander in Bezug setzen lassen, dass zu jedem
x
-Wert ein und nur ein
y
-Wert gehört, dann bilden die beiden das, was man als
Funktion
bezeichnet, und Funktionen sind wahrhaft allgegenwärtig: Ob Sie nun im Laufe einer Diät Tag für Tag Ihr Gewicht, von einem Geburtstag zum anderen die Größe Ihres Kindes oder bei Ihrem Auto die Abhängigkeit des Benzinverbrauchs von Ihrer Fahrgeschwindigkeit festhalten, all diese Daten lassen sich als Funktionen darstellen.

    Abbildung 24
    Funktionen sind fürwahr das tägliche Brot jedes modernen Wissenschaftlers, Statistikers und Ökonomen. Sobald viele Wiederholungen von wissenschaftlichen Experimenten oder Beobachtungen den immer gleichen Funktionsbeziehungen gehorchen, können sie in den Status von
Naturgesetzen
erhoben werden – mathematische Beschreibungen eines Verhaltens, das allen natürlichen Phänomenen eigen ist. Newtons Gravitationsgesetz zum Beispiel, auf das wir später in diesem Kapitel zurückkommen wollen, besagt, dass sich die Anziehung zwischen zwei punktförmigen Massen um den Faktor vier verringert, wenn sich die Entfernung zwischen beiden verdoppelt. Descartes’ Überlegungen öffneten somit die Tür für die systematische Mathematisierung von nahezu allem und jedem und nährtedamit in nie gekannter Weise die Vorstellung, dass Gott ein Mathematiker sein muss. Auf der rein mathematischen Seite erweiterte Descartes durch seinen Nachweis der Gleichwertigkeit zweier bis dahin als getrennt erachteter Aspekte der Mathematik (der Algebra und der Geometrie) den Horizont dieser Wissenschaft und ebnete den Weg für die moderne Arena einer
Analytik,
die es den Mathematikern ermöglichen sollte, mit leichter Hand von einer mathematischen Disziplin zur nächsten zu wechseln. Folgerichtig wurde nicht nur eine Vielfalt an Phänomenen

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