Ist Gott ein Mathematiker
ablehnten, mathematische Konzepte und Strukturen in Betracht zu ziehen, die mit der physikalischen Welt nicht unmittelbar zu tun hatten. Solches war zum Beispiel der Fall bei der schillernden Figur des Girolamo Cardano (1501–1576). Cardano war ein Mathematiker von Format, berühmter Arzt und notorischer Spieler. Im Jahr 1545 veröffentlichte er eines der einflussreichsten Bücher in der Geschichte der Algebra –
Ars Magna
(«Die große Kunst»). In dieser umfassenden Abhandlung untersucht Cardano höchst detailliert die Lösungen algebraischer Gleichungen, angefangen bei der einfachen quadratischen Gleichung (in der die Unbekanntein zweiter Potenz steht: x 2 , daher auch Gleichung 2. Ordnung) über wegweisende Lösungen zur kubischen Gleichung (3. Ordnung, hier steht die unabhängig Variable in dritter Potenz:
x 3
) und schließlich zu Gleichungen 4. Ordnung. In der klassischen Mathematik wurden Größen oftmals als geometrische Elemente betrachtet. Zum Beispiel wurde der Wert der Unbekannten
x
mit einem Geradensegment gleicher Länge gleichgesetzt, die zweite Potenz stellte eine Fläche, die dritte einen Körper mit entsprechendem Volumen dar. Folgerichtig erklärt Cardano im ersten Kapitel der
Ars Magna:
Wir schließen unsere ausführliche Betrachtung mit der Untersuchung der Kubischen, andere werden nur beiläufige, wenn auch allgemeine Erwähnung finden. Denn da
positio
[die erste Potenz] eine Linie beschreibt,
quadratus
[das Quadrat] eine Fläche und
cubus
[der Würfel] einen Körper, wäre es sehr töricht, wollten wir uns über diesen Punkt hinauswagen. Die Natur sieht solches nicht vor. Daher werden, wie man sehen wird, alle Fragen bis hinauf zur 3. Potenz umfassend bewiesen, bei den anderen aber, die wir – aus Notwendigkeit vielleicht oder aus Neugier – hinzufügen werden, werden wir über das bloße Darlegen nicht hinausgehen.
Mit anderen Worten: Cardano vertritt die Ansicht, da die physikalische Welt, die von unseren Sinnen wahrgenommen wird, nur drei Dimensionen hat, wäre es töricht und vermessen, wollten Mathematiker sich mit höheren Dimensionen oder Gleichungen höheren Grades befassen.
Eine ganz ähnliche Meinung brachte der Mathematiker John Wallis (1616–1703) zum Ausdruck, aus dessen Werk
Arithmetica Infinitorum
(«Arithmetik der unendlichen Größen») Newton die ersten Schritte der Analysis lernte. In einem anderen wichtigen Buch,
A Treatise on Algebra both historical and practical
(«Eine Abhandlung über Algebra – historisch und praktisch»), erklärte Wallis: «Die Natur lässt – mit aller Schicklichkeit des Wortes – nicht mehr als
drei
Dimensionen zu.» Im Weiteren führte er dies deutlicher aus:
Eine Linie, die gegen eine andere gezeichnet wird, ergibt eine Fläche oder Ebene, selbige, gegen eine Linie aufgespannt, ergibt einen Körper.Wenn aber dieser Körper gegen eine Linie oder diese Ebene gegen eine Ebene gezeichnet wird – was soll das geben? Eine Ebenenebene oder Überebene? Das wäre ein Monster der Natur und weniger möglich als eine Chimäre [ein feuerspeiendes Fabelwesen der griechischen Mythologie, ein Geschöpf aus Schlange, Löwe und Ziege] oder ein Zentaur [der «Pferdemensch» der griechischen Mythologie, ein Mischwesen mit dem Oberkörper eines Mannes, dessen übriger Körper samt der Beine die eines Pferdes sind], denn Länge, Breite und Höhe machen den
gesamten Raum
aus. Auch vermag unsere Einbildungskraft sich nicht vorzustellen, wie es eine vierte Dimension über diese drei hinaus geben sollte.
Auch hieraus spricht deutlich eine Logik, der zufolge es sinnlos ist, sich eine Geometrie, die über die Beschreibung des realen Raumes hinausgeht, auch nur vorzustellen.
Schließlich und endlich begannen sich die Standpunkte dann doch zu ändern. Die Mathematiker der 18. Jahrhunderts waren die Ersten, die Zeit als potentielle vierte Dimension in Betracht zogen. In einem 1754 veröffentlichten Artikel mit der Überschrift «Dimension» schrieb der Physiker Jean d’Alembert (1717–1783):
Ich habe im Obenstehenden erklärt, dass es unmöglich ist, sich mehr als drei Dimensionen vorzustellen. Ein vielseitig begabter Mann aus meiner Bekanntschaft meint jedoch, man könne die Zeitdauer als vierte Dimension betrachten und dass das Produkt aus Zeit und Räumlichkeit in gewisser Weise eines ist, das vier Dimensionen reflektiert. Diese Vorstellung mag auf Widerspruch stoßen, aber sie scheint mir ein gewisses Verdienst auf ihrer Seite zu haben, das über das
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