Istanbul: Ein historischer Stadtführer
Insofern lassen sie sich eher mit unabhängigen Lehrstühlen als mit Fakultäten vergleichen. Fortgeschrittene Studenten scharten sich auch um bekannte Lehrer anderer Medresen, die häufig ihre «Kreise» (
halka
) in den Hauptmoscheen der Stadt bildeten. Beim Tod Mehmeds II. (1481) existierten 34 oder 35 Medresen innerhalb der Stadtmauern, die 16 Schulen des riesigen Fâtih-Komplexes schon eingerechnet. Ihre Zahl wuchs bis Ende des 16. Jahrhunderts einschließlich der Spezialmedresen für den Unterricht in Hadîs-Studien, der Koranlesung und Medizin auf ca. 140. In den letzten hundert Jahren des Osmanischen Staats vermehrte sich ihre Zahl um einige weitere Dutzend. Allerdings gab es, wie eine sorgfältige Inspektion des Jahres 1914 offenbarte, schon viele unbenutzte und verfallene Bauten.
Zahlreiche Medresen fielen der modernen Stadtplanung zum Opfer. Beispielsweise wurde 1953/54 beim Bau des neuen Rathauses (Belediye Sarayı) die Medrese des Heeresrichters Mahmûd Efendi (gest. 1653) «abgeräumt», obwohl sie noch bei der Anlage des Atatürk Bulvarı in den 1930er Jahren verschont worden war. Nur den Grabstein des Stifters hat man im Hof der gegenüberliegenden Şehzâde-Moschee deponiert.
Die Hauptmerkmale einer Istanbuler Medrese sind die um einen Hof gereihten Zellen, von denen jede einzeln beheizt werden konnte, wie ein Rauchfang neben den Kuppeln verrät. Der Professor verfügte über eine Dienstwohnung, die neben dem Klassenraum lag, der in der Regel dieSchmalseite des Hofs einnahm. Es gibt interessante Abweichungen von diesem rechteckigen Typus wie die achteckige Medrese des Rüstem Pascha (heute ein Heim für ausländische Stipendiaten), die – obwohl im Herzen der Altstadt gelegen – meist übersehen wird.
Plan 14: Medrese des Rüstem Pascha von 1550/51
Bekannter sind die originellen, von der Natur des Baugeländes diktierten Lösungen, die Sinân für seine Medresen bei den Moscheen Süleymâns und Sokullu Mehmed Paschas in Kadırga gefunden hat.
Eine berechtigte Frage ist die nach der Zahl der Studenten. Für die Stifter der Glanzzeit scheint die Formel «eine Zelle pro Student» gegolten zu haben. In den Stiftungsurkunden sind meistens so viele Stipendien vorgesehen, wie die Medrese Räume hat. In einem Dokument verfügte der Stifter, «dass keine Studenten von außen aufzunehmen sind, solange keine leere Zelle zur Verfügung steht». Im 18. Jahrhundert reflektieren die Quellen bereits das osmanische Bildungsdilemma. Es gab zu viele junge Ulemâ und zu wenige ordentliche Planstellen als Kadi oder Professor.
Eine späte Medrese
Die von Sultan Abdülhamîd I. gestiftete Medrese in Bahçekapı war Mittelpunkt eines Komplexes, der aus Küche (
imâret
), Knabenschule (
sıbyan mektebi
), Bibliothek, Moschee (
mescid
) und Ladenreihen (
arasta
) bestand. 14 Jahre nach der Grundsteinlegung für den Küchentrakt (1775) wurde mit dem Bau der Sultanstürbe die Hamidîye-Stiftung vollendet. Während die Bauten in der Altstadt vorangetrieben wurden, ließ der Sultan am Bosporus zwei Freitagsmoscheen errichten: 1777 die Beylerbeyi Camii, 1780 die von Emirgân.
Die Medrese hatte 20 Räume, die sich je zwei Studenten teilen sollten. In der frühen Republik war sie schon zum Abriss verurteilt, als man ein Grundstück für die Istanbuler Börse suchte. Glücklicherweise hat die Istanbuler Geschäftswelt die Medrese erhalten, indem sie für ihre Zwecke im Innenhof einen Neubau errichtete. Der Verwaltungsrat der Börse versammelt sich heute in der kleinen Bibliothek. Auf der Straßenseite erkennt man das Obergeschoss der Bibliothek über dem Traditionsladen für Naschwerk des Ali Muhieddin Hacı Bekir. Die Bücher befinden sich jedoch auf der Zentralbibliothek Süleymaniye.
Schon 1911 wurden Knabenschule und
imâret
durch den sehr bemerkenswerten Hân (Dördüncü Vakıf Hânı) des Architekten Kemâleddîn ersetzt. Sebîl und Çeşme wurden zerlegt und an der Nordecke der Zeynep Sultan Moschee, unweit des Eingangs zum Gülhane-Park, wieder zusammengefügt. Die Mehrzahl der Medresen der Spätzeit hatte viel weniger Insassen als die von Sultan Abdülhamîd I. Um 1820 waren es durchschnittlich zehn oder weniger Studierende. Das
Dârülhadîs
der Kleinen Aya Sofya brachte es damals auf 40 Studenten, ebensoviel studierten in der Medrese von Sultan Ahmed, während es die «Große» Aya Sofya auf 56 Studenten brachte. Wenn man die Insassen der fünf Medresen der Süleymaniye oder der acht bzw. sechzehn des
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