Istanbul: Ein historischer Stadtführer
beobachten und die Richtigkeit der Verhältnisse zu überprüfen.
Über die Empfänge westlicher Gesandter, insbesondere der Botschafter aus Venedig, Paris und Wien, gibt es eine umfangreiche Dokumentation. An dieser Stelle wird der Besuch einer kaiserlichen Botschaft im Jahr 1644 aus der Sicht Na‘îmâs, einem der wichtigsten osmanischen Chronisten, geschildert. Ihr Leiter war Hermann Czernin von Chudenitz, ein böhmischer Adliger, dessen Reichtum nur von seiner politischen Kaltblütigkeit übertroffen wurde. Er hatte bei einem ersten, inzwischen 28 Jahre zurückliegenden Auftritt in Istanbul allgemeine Empörung ausgelöst, als er mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel einzog. 1644 kam er zum zweiten Mal, um einen Vertrag mit Österreich zu ratifizieren. Na‘îmâ verschweigt, dass der Gesandte damals auch um die Schlüssel des Heiligen Grabs von Jerusalem ansuchte, doch war ihm natürlich geläufig, dass Czernin schon einmal an der Spitze einer Großbotschaft gestanden hatte:
Der Botschafter war derjenige, der schon zur Zeit des verstorbenen Sultan Ahmed Hân Botschafter gewesen war. Er wurde im Elçi Hân (am Divanyolu gegenüber der Konstantinssäule) untergebracht und zuvor ermahnt, daß am Dienstag der
Dîvân
zusammentrete und ein Treffen des Botschafters mit dem Padischah vorgesehen sei. An diesem Tage regnete es sehr stark. Dem Befehl folgend, kamen der Oberste Adjutant
(çavuşbaşı)
und die anderen ranghohen Tschauschen zum Hân und luden ihn mittels des Dolmetschers ein: «Erhebt Euch, um dem weltbeherrschenden Padischah eure Referenz zu erweisen.» Der Botschafter blieb hochmütig sitzen, sandte (aber) zunächst sein Geschenk. Es war ein aus Silber gefertigter Springbrunnen, den man wie eine Sanduhr umdrehen konnte, so dass von unten nach oben Wasser herausfloss und bis an die Decke spritzte. Er wurde wie eine Uhr mit einem Schlüsselaufgezogen. Wenn man die entsprechenden Brunnenöffnungen und Röhren berührte, sprangen mal drei, mal fünf, manchmal mehr als fünfzehn Wasserstrahlen heraus und flossen herunter. War das ganze Wasser ausgelaufen, drehte man ihn auf die andere Seite, worauf sofort wieder das kunstfertig angelegte Wasser heraussprang und kein einziger Tropfen verlorenging. Er wurde wieder aufgezogen und lief ab. Außer diesem merkwürdigen Springbrunnen sandte er dreißig vergoldete Silberbecken, ein großes Tablett, ein Handwaschbecken, eine Kanne und in Behältern verwahrtes Tischgerät. Alle diese Geschenke brachten sie in das kaiserliche Serail.
Da sich im Serail noch Geschenke ausländischer Potentaten nachweisen lassen, sollen an dieser Stelle einige allgemeine Erläuterungen eingeschoben werden: Die osmanischen Chronisten befassen sich selten so ausführlich wie Na‘îmâ mit den auf kaiserlicher Seite «Türkenverehrungen» genannten Präsenten. Sie bildeten aber bei allen Tributgesandtschaften aus Wien (man zählt ganze 27) neben den eigentlichen Geldgeschenken an den Großwesir und andere hohe Staatsmänner den sichtbarsten Höhepunkt. Die von Erzherzog Ferdinand 1541 an Sultan Süleymân I. gesandte planetarische Uhr war so groß, dass sie von 12 Männern getragen werden musste. In der Schatzkammer und der Uhrensammlung des Topkapı Sarayı sucht man allerdings heute vergeblich nach den Renaissance-Automaten europäischer Herkunft. Allein ein wesentlich jüngerer Musikautomat, auf dem ein vergoldeter Elefant steht, zieht Besucherblicke auf sich. Auf eine noch nicht lange bekannte Besonderheit soll aber hier aufmerksam gemacht werden, obwohl sie mit Czernins Gesandtschaften nicht zusammenhängt. Das Gehäuse einer aus Augsburg stammenden Uhr wurde als Bekrönung für den Thronsessel Ahmeds I., der sich ebenfalls in der Schatzkammer befindet, identifiziert. Die Uhr stammt von ca. 1580 und wurde nachträglich mit Rubinen und Smaragden besetzt. Zurück zu Na‘îmâs Bericht von Czernins Auftreten:
Als der Çavuşbaşı den Botschafter (zum Aufbruch) drängte, sagte dieser durch seine Dolmetscher: «Ich habe die Geschenke eines Padischahs (d.h. die von Kaiser Ferdinand III.) einem (anderen) Padischah (Sultan İbrâhîm, 1640–1648) übersandt. Sind jetzt diese Geschenke beim Padischah eingetroffen oder nichtı Solange ich keine Bestätigung bekomme, rühre ich mich nicht von meinem Platz. Warum bedrängt mich dieser Çavuşbaşı Ağa derart respektlos? Was hat das Ganze zu bedeuten, wenn man mich an einem solchen verregneten Tag bedrängt?»
Czernins Rede war damit
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