Istanbul: Ein historischer Stadtführer
Dezember 1599. Der Verurteilte hatte sich unzähliger Schandtaten in verschiedenen anatolischen Provinzen schuldig gemacht:
Auf dem Dîvân meydanı (hier: Erster Hof) kniete er etwa eine Stunde vor dem Brunnen, die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Als der weltbeherrschende Padischah (Sultan Murâd III.) auf den «Turm der Gerechtigkeit» stieg, das Fenster geöffnet wurde und er ein Zeichen gab, schlug der Scharfrichter sofort zu und ließ den Kopf auf die Erde fallen. Man hob ihn (den Körper) auf und hängte ihn auf den Haken. Sein Nachlass verfiel dem Staatsschatz.
Die Köpfe von außerhalb Istanbuls Hingerichteten wurden am Bâb-ı Hümâyûn eine Zeitlang zur Schau gestellt. Weniger prominente Diebe oder Räuber hängte man auch zur Abschreckung am Tatort auf. Die besoldete Truppe überantwortete ihre Todeskandidaten nicht den «zünftigen» Henkern, sondern eigenen Scharfrichtern aus dem Janitscharenkorps
(asesbaşı).
Der Beruf des Henkers begegnete in diesem Buch schon bei der Beschreibung der Hinrichtung des Jungen Osmân in Yedikule. Auch Evliyâ Çelebî hat die Henker in Murâds IV. Zunftaufzug nicht übersehen. Sie marschieren hinter den
Asesbaşı
und den Stadtpolizisten und vor den Nachtwächtern. Ihr Marschblock schloss die Gruppen der übel beleumundeten Zünfte der Diebe und Zuhälter ein:
Danach kommt die Zunft der erbarmungslosen Henker. Ihr Patron ist Ayyûb aus Basra. Salmân-i Pâk hat ihm in Anwesenheit des Erhabenen (Gesandten Muhammad) den Zunftgürtel umgebunden.
Der erste Henker des islamischen Zeitalters hatte Evliyâ zufolge den ethischen Kodex für das Handwerk vorgegeben:
Er wäscht jene, die zu Recht den Tod verdient haben, bringt sie zum Richtplatz, veranlasst sie dort unter Tröstungen, «ihren Glauben zu erneuern» (d.h., ihrer Sünden zu gedenken und das Einheitsbekenntnis auszusprechen) und ihr Gesicht in Richtung Mekka zu drehen.
Das Schwert führt er beim ersten Schlag mit einer Hand, bei ausbleibendem Erfolg gebraucht er für den zweiten Versuch beide Hände. Nach erfolgter Exekution rezitiert er die erste Sure und ermahnt die Umstehenden, Lehren aus dem Vorfall zu ziehen. Bei Hinrichtungen von Angehörigen der Dynastie wurde entsprechend der türkischmongolischen Tradition kein Blut vergossen, sondern eine Schlinge oder Bogensehne benutzt. Man darf sich aber die Hinrichtung durch Erdrosseln nicht als ein ausgesprochenes Privileg vorstellen. Im Staatsgefängnis Yedikule wurde beispielsweise ein ausgesprochener Bösewicht namens Deli İbrâhîm Pascha 1595 auf diese Weise zu Tode gebracht.
Zu Deli İbrâhîm Pascha kamen in der Nacht zum Freitag der Çavuşbaşı Çoban Süleymân Ağa und der Subaşı Rıdvan Çavuş mit vier Henkern und erdrosselten ihn als Strafe dafür, dass er auf dieser Welt Prophetenabkömmlinge und andere Gottesdiener bedrückt und ermordet hatte. Was er im Jenseits zu erleiden hat, bleibt Gottes Willen überlassen. Man packte seinen Leichnam und warf ihn in der nämlichen Nacht bei NarlıKapı (ein kleiner Bootshafen am Marmarameer in unmittelbarer Nähe zu Yedikule) ins Meer. Es heißt, dass ihn seine Diener heimlich aus dem Meer bargen und im (längst verschwundenen) Çizmecibaşı Tekyesi (in Kabataş) beisetzten.
Bevor das Urteil an Staatsmännern vollzogen wurde, gab man ihnen Gelegenheit, die Waschung vorzunehmen, zu beten und einen letzten Wunsch zu äußern. Im 18. Jahrhundert sollen an die 70 Henker, ihre Gehilfen und Lehrlinge eingerechnet, wirksam gewesen sein. Allerdings nennt eine Soldliste für das 17. Jahrhundert lediglich fünf Männer. Eine Besonderheit des Istanbuler Strafvollzugs war, dass die Henker das Recht hatten, die Kleidung der Exekutierten zweimal im Jahr auf dem Flohmarkt (Bitpazarı) zu versteigern.
Die Serailküchen
Die Serailküchen mit ihren zehn Paaren von Schornsteinen nehmen fast die ganze Nordostfront des zweiten Hofs ein. «Sie hatten mehr als eine praktische Bedeutung. Weil die Einnahme von Speisen aus den kaiserlichen Küchen eine zentrale Rolle im Hofzeremoniell einnahm und seit den Anfängen der osmanischen Dynastie eine Bekundung der Untertanenpflicht darstellte, hatten die Küchen eine beachtliche symbolische Bedeutung. Sie waren ein herausragendes Element in der Silhouette des Palastes und verkündeten die Großzügigkeit des Sultans, der nicht nur seinen inneren Haushalt und die ständigen Hofchargen mit Nahrung versorgte, sondern auch seine Sklavenarmee (die Janitscharen) und die
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