Istanbul: Ein historischer Stadtführer
die hohe Stellung des Padischah widerspiegelte. Dazu gaben die lockere Gesamtanordnung, die geringen Bauhöhen und die dadurch geförderte enge Verbindung mit den weitläufigen Gärten die für traditionelles türkisches Wohnen erwünschte Offenheit und die notwendige Verbindung zur Natur.»
Mauern und Tore
In der Mitte des 15. Jahrhunderts bestand noch das Bedürfnis, den Palast vor Angriffen von außen zu schützen. Der umgebende Mauerring mit seinen Toren und Türmen ist deshalb durchaus verteidigungsfähig. Der Hauptzugang, das Bâb-ı Hümâyûn, hat heute seinen oberen Teil verloren. Ältere Fotografien zeigen noch das zweistöckige Obergeschoss. Das Tor ist mit einer der schönsten Inschriften des 15. Jahrhunderts geschmückt. Mit ihr wurde der Kalligraph Alî b. Yahya es-Sofî beauftragt, der auch das Schriftprogramm der Fâtih-Moschee realisierte. Auf diese Inschrift soll hier nicht nur wegen des kunstvollen koranischen Teils aufmerksam gemacht werden (Sure XV, 45–47: «Die Gottesfürchtigen dagegen befinden sich dereinst in Gärten und and Quellen.»), sondern auch wegen des historischen Textes, der den fortifikatorischen Charakter der Anlage unterstreicht und eine eindrucksvolle Herrschertitulatur Mehmeds II. enthält:
1) Dies ist eine gesegnete Festung. Ihre Erbauung wurde auf die Hilfe Gottes und sein Wohlgefallen begründet; und es wurden ihre Stützen errichtet zur Gewährleistung von Schutz und Frieden,
2) auf Befehl des Herrschers der beiden Kontinente und des Fürsten der beiden Meere, der Schatten Gottes in der Welt der Menschen und der Geister, die Hilfe Gottes zwischen Auf- und Untergang, der Held des Wassers und der Erde,
3) der Eroberer der Festung des Konstantin, der Vater des Sieges, Sultan Muhammad Hân, Sohn des Sultans Murâd Hân, Sohn des Sultans Muhammad Hân.
4) Gott möge seine Herrschaft dauern lassen und seinen Thronsitz erhöhen über den Scheitel der beiden hellen Sterne im Kleinen Bären. Im gesegneten Monat Ramadan im Jahre 883 H. (1478 D.).
Die Erwähnung von zwei Kontinenten bzw. Meeren lässt an Rumelien und Anatolien, bzw. das Schwarze und das Mittelländische Meer als Herrschaftsbereich des Sultans denken. Tatsächlich wurde diese Titulatur schon von anderen Sultanen des Nahen Ostens geführt. Der erste noch vollmundigere Entwurf dieser arabischen Inschrift enthielt noch Formeln, die am Ende dem Platzmangel zum Opfer gefallen sein mögen, wie «und die Wangen der edelsten Fürsten mögen mit dem Staub seiner überaus erhabenen Schwelle benetzt sein». Dieser Satz meint eindeutig die von Mehmed II. unterworfenen Herrscher. Auch die drei Kronen, welche die Rückseite von Gentile Bellinis berühmter Porträtmedaille des Eroberers aus dem Jahr 1480 schmücken, symbolisieren drei unterworfene Reiche.
Übrigens stammt auch das Tor zum zweiten Hof, an dem alle Besucher mit Ausnahme des Sultans ihr Pferd abzugeben hatten, aus der Zeit des Eroberers, obwohl die Inschrift von 1524/25 datiert und alle Führer von Süleymân I. als Erbauer sprechen. Der zeitgenössische Historiker Kemâlpaşa-Zâde schreibt diese «beiden, in fränkischem Stil errichteten Türme an beiden Seiten des Tores» eindeutig Mehmed II. zu.
Bevor man sich diesem «Mittleren Tor» (Orta Kapı) mit den Zwillingstürmen nähert, lässt man die Irenenkirche links liegen. Sie wurde von Anfang an als Waffenarsenal benutzt, diente also zu keinem Zeitpunkt als Moschee (wenn man davon absieht, dass sie mit einigen Säulen zum Bau der Süleymaniye beitragen durfte!). Ihre Vergangenheit als Arsenal war auch dafür verantwortlich, dass man schon im 19. Jahrhundert ein Militärmuseum einrichtete, als Vorgängerin der Sammlung in Harbiye (Askerî Müze). Rechter Hand lagen Krankenstuben, die Palastbäckerei und (in der Nordostecke) die Wasserwerke, durch die das Serail an die Halkalı- und Kırkçeşme-Leitungen angeschlossen wurde.
Der Henkersbrunnen und das Handwerk der Henker
Schon im 19. Jahrhundert galt der Henkersbrunnen (Cellâd Çeşmesi) vor dem Orta Kapı als makabre Touristenattraktion. Er wurde vor dem ersten Istanbul-Besuch Kaiser Wilhelms II. (1889) auf Befehl Abdülhamîds entfernt und erst wieder in der Republik an seiner alten Stelle aufgebaut. Hier stattfindende Exekutionen konnten von der Höhe des «Turms der Gerechtigkeit» (Kasr-ı Adl) genannten Gebäude im zweiten Hof aus beobachtet werden. Der Chronist Selanikî berichtet knapp über die Hinrichtung eines gewissen Kara Murâd Beg am 13.
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