Istanbul: Ein historischer Stadtführer
gewaltsame Eroberung handelte. Aber die Tatsache, dass alte Kirchen und Synagogen übrig geblieben sind, weist auf eine (teilweise) friedliche Eroberung hin. Im Jahre 945H./1538/39 D. wurde dieser Sachverhalt untersucht. Man stieß auf eine 117 Jahre alte Kirche und eine andere von 130 Jahren. Vor dem mit der Untersuchung beauftragten Gelehrten wurde beschworen: «Als sie Juden und Christen inBesitz hatten, machten sie gemeinsame Sache mit Sultan Mehmed, sie wussten, dass der
Tekfur
(hier: der griechische Kaiser) nicht siegen würde. Sultan Mehmed machte seinerseits sie nicht zu Kriegsgefangenen, sie blieben so, wie sie waren, auf diese Weise wurden sie erobert.
Hier ist von Kirchen und Synagogen die Rede, die in den Jahren 828 H. (= 945–117), d.h. 1412/13 bzw. 815 (= 945–130), d.h. 1426/27 errichtet wurden. Der Scheichülislam ließ das Weiterbestehen zu, weil Christen und Juden dieser (leider nicht genannten) Gemeinden so etwas wie einen Separatfrieden mit dem Eroberer geschlossen hätten. Anders liegt der Sachverhalt, wenn eine Kirche zum Zeitpunkt der Eroberung von den Muslimen in Besitz genommen wurde. Hier entschied Ebussuûd, dass sie die Christen nicht zurückkaufen und wieder als Kirche nutzen dürfen.
Die folgende Anfrage betraf ein rechtliches Kuriosum. Eine Christin, die ein Grundstück mit einer leerstehenden Kirche erworben hatte, glaubte auf Nummer Sicher zu gehen und ließ die Stiftungsurkunde auch von Muslimen unterzeichnen:
Die Antwort: Die Stiftungsurkunde ist vollständig nichtig und ungültig. Wenn schon die Errichtung einer Kirche in muslimischen Städten ungesetzlich ist, so ist es ebenso ungesetzlich, sich eine aufgegebene Kirche (wieder) anzueignen. So steht es in den Fetvâ-Sammlungen. Man hat (diese Urkunde) in Unkenntnis dessen aufgesetzt und unterfertigt.
Die Griechen:
Das Patriarchat auf Wanderschaft
Die griechische Bevölkerung Konstantinopels war nach der Flucht ihres Patriarchen nach Italien (1451) noch vor der Einnahme der Stadt ohne Führer. Mehmed II. ließ die Herde jedoch nicht ohne Hirten und übergab 1454 dem Mönch Gennadios die Insignien des höchsten Kirchenamts. Selbstverständlich kam die Hagia Sophia nicht mehr als Sitz des Patriarchats in Frage. Die Weihe und Inthronisation erfolgte deshalb in der Apostelkirche, dem zweitgrößten Gotteshaus der Stadt.
Die Kirchenpolitik Mehmeds II. sicherte für die folgenden Jahrhunderte den Zusammenhalt der griechischen Gemeinde. Obwohl sich Konstantinopel nicht im Sinne des islamischen «Außenrechts» (von Völkerrecht kann man nicht sprechen) ergeben hatte, sondern gewaltsamgestürmt worden war, beließ man den Griechen vor allem die Kirchen in Stadtteilen, in denen sie die Bevölkerungsmehrheit bildeten. Dabei mag aus der Sicht der neuen Herren die oben erwähnte rechtliche Fiktion geholfen haben, einzelne Stadtviertel hätten sich den eindringenden osmanischen Truppen separat ergeben. An dieser Stelle soll festgehalten werden, dass die etwa 40 griechischen Kirchen, die im 18. Jahrhundert in Istanbul existierten, zum größten Teil
nach
der Eroberung entstanden.
Abb. 15: Das Pammakaristos-Kloster diente bis zu seiner Umwandlung in die Fethiye Camii (1591/92) als Sitz des griechischen Patriarchats
Wenige Monate nachdem sich Gennadios provisorisch in den stark beschädigten Mauern der berühmten Kirche aus dem Zeitalter Justinians eingerichtet hatte, musste er in die Pammakaristos-Klosterkirche im Stadtteil Phanar (heute Fener) umsiedeln, weil Mehmed II. seine Hauptmoschee auf dem riesigen Gelände in Angriff nehmen wollte. Unter seinem Nachfolger Bâyezîd II. (1481–1512), der bei seinen Anhängern im Ruch der Heiligkeit stand, nahm der Druck auf den griechischen Kirchenbesitz zu. Der Patriarch konnte aber zunächst seine Hauptkirche behalten. Erst 1591/2 (das Datum ist nicht genau gesichert) wandelte Murâd III. das Pammakaristos-Kloster in die Fethîye Camii um. Der neue Name«Siegesmoschee» wird allgemein mit einem erfolgreichen Feldzug nach dem (heutigen) Aserbaidschan verbunden. Er dürfte einer der ersten «abstrakten» Moscheenamen sein. Bis dahin überwogen Bezeichnungen nach den Stiftern. Hüseyin Ayvansarâyî gibt zu dem Vorgang nur einen knappen Kommentar.
Fethiye Câmii: Diese Moschee wurde aus einer der Kirchen umgewandelt, die aus der Zeit der Eroberung übrig geblieben sind. Auf Grund von Streitigkeiten nahm man sie ihnen (den Griechen) im Jahr 1000 H. (1591/92 D.) ab. Der damalige Sultan Murâd III.
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