Istanbul: Ein historischer Stadtführer
bis in die Gegenwart von
Maşatlık
gesprochen, um einen jüdischen Friedhof zu bezeichnen. Das Wort ist dem arabischen
Maşhad
abgeleitet und bedeutet eigentlich «Martyrion», d.h. ein Ort, an dem Glaubenszeugen beigesetzt sind. Der wichtigste unter den alten jüdischen Friedhöfen Istanbuls lag in Balat. Er diente schon der Gemeinde von Byzanz als Begräbnisort. Da er durch die Anlage einer Straße zerstört wurde, verbleiben vier wichtige historische Friedhöfe mit Grabsteinen aus der Zeit vor der Republik: İcadiye (oberhalb von Kuzguncuk am asiatischen Bosporusufer), Hasköy (über dem Goldenen Horn, seit 1583), Ortaköy und der «Italienische Friedhof» (1867 zwischen Şişli und Mecidiyeköy für Juden mit ausländischer Staatsangehörigkeit angelegt). Sie gehörten alle den sephardischen Gemeinschaften. Die Aschkenasim erhielten erst 1901 das Recht auf einen eigenen Friedhof oberhalb von Ortaköy. Die als
Dönme
bekannte (bzw. denunzierte) Gruppe der Neu-Muslime, die auf Shabbetai Zwi, eine messianische Gestalt des späten 17. Jahrhunderts zurückgeht, hat einen als Selanikliler Mezarlığı («Friedhof der Leute aus Saloniki») bekannten Friedhof in Üsküdar (zwischen der Bülbüldere Bağlarbaşı Caddesi und der Selanikliler Sokağı).
Die Inschriften der Grabstelen sind fast ausnahmslos in Hebräisch, gelegentlich in
Ladino
(«Judenspanisch»), im 19. Jahrhundert manchmal in Französisch, seit der Republik auch Türkisch abgefasst. In Kuzguncuk erinnern Form und Material der Grabsteine aus dem 17. Jahrhundert an die auch bei Muslimen vorkommenden Marmorkenotaphe. Dekorationselemente wie Schriftkartuschen und Pflanzen verstärken die Ähnlichkeit.
Der Ayvânsarâyî teilt auf indirekte Weise mit, wie ein bigotter muslimischer Vorbeter dem alten jüdischen Friedhof von Kasımpaşa den Garaus machte. Sein Kapitel ist mit «Die Windmühlen-Moschee» (Yeldeğirmen Camii) überschrieben und erzählt in nüchterner Sprache,wie der Stifter im Handstreich den Friedhof okkupierte. Die (eher uninteressante) Nachfolgerin der Moschee aus dem 16. Jahrhundert befindet sich hinter dem großen Krankenhaus (Bahriye Merkez Hastanesi) zwischen der Arka Sokağı und dem Babadağı Yokuşu.
Istanbul-Panorama von Mehmed Hulûsî (Lithographie Istanbul 1893/94)
Ihr Erbauer ist der Imam des Großherrn Abdülkerîm Efendi. Da er eine Moschee für ein muslimisches Wohnviertel, das (zu) nahe an dem jüdischen Friedhof lag, errichten wollte, ließ er alles notwendige (Baumaterial) bereitstellen, die Grabsteine entfernen und war innerhalb einer Nacht des Jahres 1000 (1591/92) mit der Aktion fertig.
Dieses «kalte» Verfahren wandten Stifter auch sonst an, um Christen und Juden zu verdrängen. Möglicherweise hat das Jahr 1000 der Hidschra den Glaubenseifer Abdülkerîms zusätzlich angestachelt. Ebenso wie die räumliche Nähe christlicher und jüdischer Kultstätten zu Moscheen unstatthaft war, konnte auch gegen einen Moscheebau als
fait accompli
von keiner Seite her Einspruch erhoben werden. Die Frage nach der zeitlichen Reihenfolge war nicht mehr erlaubt bzw. wurde nach dem Recht des Stärkeren entschieden.
Unter den griechischen Friedhöfen der Stadt ist der
extra muros
, vor dem Silivri Kapısı gelegene von Balıklı besonders interessant. Hier finden sich bei der Kirche mit einem weithin bekannten Quellheiligtum (
Ayazma
) seltene Beispiele von Grabsteinen der orthodoxen Karamanli-Gemeinde, die für ihr türkisches Idiom griechische Buchstaben verwendete. Ein Text eines 1865 der Cholera zum Opfer gefallenen Jünglings, der wie viele Karamanli aus Mittelanatolien stammte, lautet:
Wie eine Nachtigall flog der Junge aus seinem Bauer,
War doch sein Schicksal erfüllt
Und hatte seine Wangenlocken zerzaust,
Diese aufbrechende Knospe wurde zum Sitz des Todes.
Mein Geburtsort ist Zincidere bei Kayseri,
Die Cholera hat mich von meinen Eltern getrennt.
Meine Familie sind die Hacı Nûrluoglu, mein Name ist Michail.
Michail Charalambos lebte 19 Jahre,
Er trat die Reise (in die Ewigkeit) am 28. Juli 1865 an.
Abgesehen von den Namen des Verstorbenen und seiner Familie, die auf einen Jerusalempilger, der wie die muslimischen Mekka-Fahrer den Titel «Hacı» trug, zurückgehen, könnte der Text mit seinen der Diwanpoesie entlehnten Metaphern vom Seelenvogel und zerzausten Wangenlocken auch für einen türkischen Grabstein verwendet werden.
Kleidervorschriften für Nichtmuslime
Im Anschluss an die oben erwähnte Moscheegründung
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