Istanbul: Ein historischer Stadtführer
berichtet der Ayvânsarâyî über andere Attacken des Imams auf Nichtmuslime.
Der genannte Stifter Abdülkerîm Efendi lebte in der Epoche Murâds III. und war eine recht einflussreiche Persönlichkeit, die, um die Christen und Juden zu demütigen, dafür sorgte, dass sie ihre blauen und gelben kalottenförmigen Häubchen mit solchen aus schwarzem und rotem Tuch vertauschen mussten.
Sadistische Züge waren dem Imam nicht ganz fremd, wenn wir lesen müssen, wie er die Christen verhöhnte: «Wo immer er arme Affen vorfand, ließ er sie zu seiner Belustigung kreuzigen, was ihm den Namen ‹Affentöter-Imam› einbrachte.»
Es ist richtig, dass im späten 16. Jahrhundert bei Christen Blau die «Erkennungsfarbe» war, während Juden gelbe Kopfbedeckungen trugen. Die abendländischen Besucher haben selbstverständlich solche diskriminierenden Attribute sorgfältig registriert, nicht nur darüber geschrieben, sondern auch farbige Abbildungen hinterlassen. Kleidervorschriften für Nichtmuslime beschränkten sich aber nicht auf die Farbwahl. Es gibt ein großherrliches Befehlsschreiben an den Kadi von Istanbul aus dem Jahr 1580, das zwei Jahre
vor
dem nächtlichen Moscheebau Abdülkerîms erlassen wurde. Hier werden bestimmte Verbote und Gebote ausgesprochen:
Zur Zeit des seligen Sultan Mehmed Hân (gemeint ist Mehmed II. Fâtih, 1451–1481) hatten die Juden rote Hüte auf dem Kopf, sie trugen schwarze Schuhe und Stiefeletten, ihre Oberkleider waren aus dünnem Kattun. Die Christen trugen schwarze Hüte, die genannte Gruppe wand kein Turbantuch um das Haupt.
Murâd III. (1574–1585) ordnete an, wieder zur angeblichen Kleiderordnung Mehmed II. zurückzukehren. Der Erlass sagt zwar nichts über die inzwischen bevorzugten Modefarben, erlaubt aber ein sicheres Urteil darüber, dass sich Christen bis dahin auch mit Turbanbändern zeigten. Das Befehlsschreiben vom 8. März 1580 wurde im
Bedesten
und «überall dort, wo sich die Leute versammeln», laut verkündet. Für die Ausführung war der Aga der Janitscharen verantwortlich. Über die Höhe der Strafe bei Verstößen ist nichts Genaues bekannt. Der Erlass war aber so einschneidend, dass man auch in Europa darüber berichtete.
XII.
Der islamische Kalender und
die Zeitrechnung
Das islamische Jahr richtet sich nach den Mondphasen und ist 354 Tage lang, d.h. 11 Tage kürzer als ein Sonnenjahr. Damit haben die zwölf Monate und religiösen Festtage keine jahreszeitliche Bedeutung. Unter den Monaten spielen der Trauermonat
Muharrem
, mit dem das islamische Jahr beginnt, und der Fastenmonat
Ramazân
eine besondere Rolle. Die Jahreszählung beginnt mit dem Auszug (arabisch «Hidschra») des Propheten Muhammad von Mekka nach Medina im Jahr 622 A. D. Wegen des kürzeren Mondjahres kann diese Zahl nicht einfach von den Werten der christlichen Zeitrechnung abgezogen werden, d.h., man ist zur genauen Umrechnung auf Tabellen angewiesen. In der Landwirtschaft hat man selbstverständlich den Kreis der Jahreszeiten weiter beachtet, und auch für die Städter war der Frühjahrsbeginn am 21. März (
Nevrûz
) ein herausragender Tag. Die Osmanen verwendeten neben der Hidschra-Jahreszählung noch ein Finanzjahr, das zunächst für steuerliche Zwecke, sehr spät auch in der allgemeinen Staatsverwaltung galt.
Anders als in der herkömmlichen arabischen Zeitrechnung fiel bei den Osmanen 12 Uhr mit dem Sonnenuntergang zusammen. Damit erhielten die 2 × 12 Stunden eine ungleiche Länge. Das geschah in Analogie zur Monatsrechnung, die jeden neuen Monat mit dem Erscheinen des aufgehenden Monds nach Sonnenuntergang anfangen lässt. Der Freitag beginnt also nach dem Dunkelwerden am Donnerstag. Mit den Problemen der eigentlich
Ezânî
(nach
ezân
«Gebetsruf») genannten Stundeneinteilung mussten sich also auch Nichtmuslime, Ausländer (die von der
Alla
Turca-Zeit sprachen) und diejenigen Türken auseinandersetzen, denen die Gebetszeiten gleichgültig waren. Die «westliche» Zeit hieß
Zevâli
(Rechnung nach dem Erreichen der «Mittagshöhe» –
zevâl
– durch die Sonne). An manchen
Muvakkithânes
(zu diesen am Ende des Abschnittes) und Uhrtürmen waren Zifferblätter für beide «Zeitsorten» angebracht.Das Häuschen an der Yeni Cami verlor sein schlichtes Paar von Uhren erst 1956. Seine Z
evâlî-
Uhr galt über Jahre als verlässlichster Zeitmesser von Istanbul. Die Leute, die zu den Schiffen eilten, richteten sich nach ihr bzw. der in der Republik auf dem Eminönü-Platz aufgestellten
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