Istanbul: Ein historischer Stadtführer
Gelehrten und
Ahunds
mit weißen oder grünen Turbanen und schwarz-grünen Umhängen. Ihre Bärte waren mit Henna gefärbt, ihre Augenlider (schwarz) geschminkt. Ihnen folgten die Sänger der Trauerlieder. Sie trugen mit tiefen, schönen Stimmen zu Herzen gehende Elegien vor. Auf jeden Vers dieser Elegien folgten ein durchdringendes, ohrenbetäubendes Wimmern, ein starkes Heulen und tiefe Klageschreie.
Auf eine Reihe von Pferden hatte man Tauben mit weißen Tüchern gebunden, deren Flügel als Symbol der Katastrophe (von Kerbela) mit Blut eingefärbt waren. Ihnen folgten Wimpel und Fahnen in verschiedenen Farben, mit Aufschriften, Bildern, Verzierungen. Dann kamen auf beiden Seiten der Prozession in zwei oder drei Reihen die «Opferbereiten», die ihren entblößten Oberkörper mit den Fäusten bearbeiteten, als wollten sie ihn aufbrechen. Nach ihnen kamen zu Gevierten oder Kreisen verbundene Vagabunden, über deren Kleider und Köpfe Blut floss, arme Burschen, mit unbedeckter Brust und Rücken. Sie zogen vorbei, indem sie ihren nackten Rücken und ihren Oberkörper mit Ketten bearbeiteten, welche die Form von Quasten mit einem Griff hatten. Dabei entstand durch die blutigen Ketten ein herzzerreißendes Geräusch, das mir noch heute in den Ohren klingt.
Im Fastenmonat
Der Beginn des Ramazân veränderte das nächtliche Leben Istanbuls schlagartig. Zwischen den Minaretten der großen Moscheen wurden Seile gespannt, die kleine Lichter trugen, welche ihrerseits Ornamente und Schriftzeichen bildeten. Diese sogenannten
Mahyas
sind spätestens im 16. Jahrhundert aufgekommen. Sie begrüßten wie ihre heutigen elektrischen Nachfolger den Beginn des
Ramazân («Hoşgeldin Ey Şehr-i Ramazân»)
, priesen Gott
(«Yâ Allâh»)
oder mahnten die Gläubigen. Da
Mahyas
nur bei Moscheen mit mindestens zwei Minaretten möglich waren, wurde der Mihrimâh Camii in Üsküdar angeblich auf Wunsch der Bevölkerungein weiteres Minarett hinzugefügt. Unter Abdülhamîd II. gab es auch
Mahyas
, die seine Majestät den Sultan hochleben ließen.
Die Dichter haben mit ihren
Ramazânîye
genannten panegyrischen Werken eine eigene Gattung zum Lob des Ramazân hervorgebracht. Eines der bekannteren Beispiele des Genres stammt von dem im bosnischen Užice geborenen Sâbit und wurde im Herbst 1710 abgeschlossen. Der Dichter, der zu den großen Namen zwischen osmanischer «Klassik» und «Moderne» rechnet, unterbreitete sein Werk dem Großwesir Baltacı Mehmed Pascha, den er im 23. der 69 Verse (die alle auf dieselbe Silbe -
ân
wie Ramaz
ân
enden!) mit der
Kâdir
-Nacht, der mächtigsten des Heiligen Monats, vergleicht und den er auch sonst ohne falsche Scham umschmeichelt.
Keine Übersetzung kann das wiedergeben, was nach dem großen tschechischen Orientalisten Jan Rypka die panegyrische Poesie Sâbits kennzeichnet: Einerseits lebendige Darstellungskunst voll Realität, Plastik und Humor, andererseits eine entwickelte Wortkunst. «Frische Lebensbilder aus dem damaligen Ramazântreiben schießen kaleidoskopartig an unseren Augen vorüber, durch unaufhörliche Pointen und rhetorische Kunststücke fein gewürzt, vom ersten bis zum letzten Verse, durchaus nicht ohne Humor.» Die Freude des Dichters und Gelehrten an der Geißelung heuchlerischer Frömmigkeit ist offensichtlich. Jedenfalls hat die
Ramazânîye
auf die Nachfolger Sâbits eine tiefe Wirkung ausgeübt, sie scheint sogar populär geworden zu sein. Dass selbst notorische Trinker und Raucher im Ramazân ihrer Sucht vorübergehend entsagen, ist eine Beobachtung, die man noch heute häufig machen kann, auch wenn der zeitweise Entzug hart ankommt: «Angenehmer als ein Rauchgefäß mit Ambra, das man zur Zeit der Enthaltung von Essen frühmorgens anzündet, erscheint dem leidenschaftlichen Raucher eine Pfeife Tabak am Abend zur Zeit der Fastenunterbrechung.» Rypka, von dem die folgende, nur leicht veränderte Übersetzung stammt, berücksichtigt die Hintersinnigkeit fast des gesamten Sprachmaterials, indem er die meisten metaphorisch verwendeten Stellen zweimal und mehrfach wiedergibt. Wir müssen uns an die vordergründige Seite des Gedichts halten.
1. Während die Freunde für die Unterhaltung, die noch am Zweifelstage (an dem noch unklar ist, ob der Fastenmonat bereits eingetroffen ist) hätte stattfinden sollen, Weinmost auspreßten, brach unverhofft herein der Ramazânmonat, einem Polizeibeamten vergleichbar und packte sie fest an der Kehle.
2. Frei von Versuchungen des Teufels
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