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Italienische Märchen

Italienische Märchen

Titel: Italienische Märchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Brentano
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Da kam der gute Neuntöter zu ihnen und hörte ihren Wunsch. »Das soll bald in Ordnung sein«, sprach er und flog weg. Er kam mit vielen Vögeln wieder und alle brachten Hanf im Schnabel; daraus mußten nun Ursula und Ursulus Stricke drehen und mußten eine Strickleiter draus machen. Dann kam ein Adler, der trug die Strickleiter im Turm in die Höhe und hängte sie oben an einen Haken fest. Ursulus wollte gleich hinaufklettern, aber seine Mutter erlaubte es nicht, weil es noch Tag war und man ihn da oben hätte sehen können. Als es Abend wurde, stieg er voraus und Ursula hinter ihm auf der Strickleiter in die Höhe. Ach, sie hatte seit sieben Jahren Berg und Tal nicht mehr gesehen, und er noch nie. Als sie oben an dem Turmrande hinaussahen, umklammerte sie ihren Sohn mit beiden Armen, denn er war wie betrunken von der Luft und dem Abendrot und von Berg und Tal. Ach! sie mußte ihn sehr festhalten, daß er nicht herunterstürzte; denn wenn er die Vögel fliegen sah, so zuckte er die Arme hinaus und wollte auch fliegen. Sie stieg bald wieder mit ihm hinab und nun mußte sie ihm bis spät in der Nacht erzählen und erklären, was er gesehen hatte. Bald mußte sie es bereuen, daß sie ihm die Herrlichkeit der Welt gezeigt hatte, denn Ursulus ward täglich unruhiger, und sein einziger Gedanke war, über diese Hügel und Berge zu schweifen, die er gesehen. Er fragte seine Mutter über alles aus; er hörte, Jerum würde sie umbringen, wenn er wisse, daß sie noch lebe; auch erzählte sie ihm von dem bösen Pumpelirio Holzebock und von den armen Jungfrauen, welche gern möchten begraben sein. Das tat dem kleinen Ursulus so leid, so leid; er konnte nicht mehr ruhen und rasten, und als sein Mütterlein einst in der Nacht schlief, schlich er an ihr Bett und küßte sie und weinte und flüsterte: »Leb wohl, leb wohl, Herzmutter mein!« Und nun stieg er die Strickleiter hinauf, und als er oben war, zog er die Leiter nach sich und warf Blumen, die oben wuchsen, in den Turm hinab; die fielen auf das Bett der Mutter, daß sie erwachte und ausrief:
Wer warf das Blümlein, das mich traf?
Wer weckt sein Mütterlein aus dem Schlaft
Bist du es, lieber Ursulus?
Komm, gieb der Mutter einen Kuß!
     
    Da rief Ursulus hernieder:
Leb wohl, leb wohl, lieb Mütterlein!
Der blanke Mond, der Sternenschein,
Und Berg und Tal und Wies und Fluß,
Die ziehn mich fort, ich muß, ich muß.
     
    Da sah die Mutter ihn mit Schrecken oben auf dem Turm. Sie sprang auf und wollte die Leiter hinauf zu ihm, aber sie fand sie nicht, denn er hatte sie zu sich hinaufgezogen. Da war Ursula gar betrübt und bat ihn, er möge die Strickleiter wieder herablassen, sie wolle ihn noch einmal an ihr Herz drücken. Er aber sagte: »Mutter, ich fühle, dann könnte ich Euch nicht verlassen; der Vogel soll Euch oft von mir Nachricht bringen, und so Gott will, sehn wir uns in Freuden wieder.« – »Aber wie willst du dann hinunterkommen?« rief die Mutter hinauf. »Ich habe mir alles ausgedacht«, antwortete er; »daneben am Turm kömmt der Rauchfang aus der Küche herauf, da hänge ich die Strickleiter hinein und werde Küchenjunge. Da bin ich immer in deiner Nähe; und wenn ich an der Mauer anpoche, dann lasse mir einen Faden auf dem Bächlein, das durch den Turm in die Küche fließt, herüberschwimmen, da werde ich dir etwas dran binden, das kannst du zu dir ziehen. Leb wohl, Herzensmutter; es muß, es wird alles besser werden.« – »O Gott, o Gott, mein Kind!« rief die Mutter und sank auf die Kniee und weinte. Ursulus aber stieg durch den Rauchfang hinab in die Schloßküche. Die Mutter lauschte an der Wand und sie konnte ihn klettern hören. Da pochte er mit der Feuerzange siebenmal, und sie nahm geschwind einen Faden, band einen Holzspan dran und ließ ihn hinüberschwimmen. Als Ursulus den Span fühlte, band er einen Blumenstrauß dran, den der Koch am Fenster stehen hatte, worüber sich die Mutter sehr erfreute. Als Ursulus den Tag grauen sah, versteckte er sich hinter das Holz bei der Küchentüre, und als der Koch in der Küche zu wirtschaften anfing, trat er hervor, als sei er zur Tür hereingekommen und grüßte den Koch sehr freundlich. Dieser fragte ihn, wer er sei und wo er herkomme. Ursulus sagte, daß seine Mutter im Walde von Räubern sei umgebracht worden, und daß er als ein armes verlassenes Kind Dienst suche. Dem Koche gefiel der freundliche schöne Knabe, und er nahm ihn zu sich als Küchenjunge. Wenn nun der Koch nicht da war, klopfte er immer

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