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Italienische Märchen

Italienische Märchen

Titel: Italienische Märchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Brentano
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um etwas zu erkennen, wie das Tier aussähe, weil ich in meinem Leben nichts von einem Tiere gehört hatte, das einem Wildschweine eine Ohrfeige gäbe und dann wie ein Hund bellend in den Bäumen herumlaufe. Bald sah ich seinen schwarzen Schatten in einem Astwinkel liegen, wo es schnarchte; aber es wehten so lange Haare herum, daß ich es nicht erkennen konnte. Indem ich so hinaufsah, hatte ich einen neuen Schrecken: das Tier streckte sich und gähnte ganz entsetzlich uah, uah, und nieste so heftig, daß die Eicheln wie ein Hagelwetter mir auf die Nase rasselten. Aber ich wagte nicht, mich zu rühren, und wie groß war mein Erstaunen, als ich das Tier auf einmal mit lauter heller Stimme folgendes schöne Lied singen hörte:
Komm, Trost der Nacht, o Nachtigall!
Laß deine Stimm mit Freudenschall
Aufs lieblichste erklingen;
Komm, komm und lob den Schöpfer dein,
Weil andre Vöglein schlafen sein
Und nicht mehr mögen singen:
Laß dein Stimmlein laut erschallen,
Denn vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
Obschon ist hin der Sonnenschein
Und wir im Finstern müssen sein,
So können wir doch singen
Von Gottes Güt und seiner Macht,
Weil uns kann hindern keine Nacht,
Sein Lobe zu vollbringen:
Drum dein Stimmlein laß erschallen,
Denn vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
     
Echo, der wilde Wiederhall,
Will sein bei diesem Freudenschall
Und lasset sich auch hören;
Verweist uns alle Müdigkeit,
Der wir ergeben alle Zeit,
Lehrt uns den Schlaf betören;
Drum dein Stimmlein laß erschallen,
Denn vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
     
Die Sterne, die am Himmel stehn,
Sich lassen zum Lobe Gottes sehn
Und Ehre ihm beweisen;
Die Eul auch, die nicht singen kann,
Zeigt doch mit ihrem Heulen an,
Daß sie Gott auch tu preisen;
Drum dein Stimmlein laß erschallen,
Denn vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
     
Nur her, mein liebstes Vögelein!
Wir wollen nicht die Faulsten sein
Und schlafend liegen bleiben;
Vielmehr, bis daß die Morgenröt
Erfreuet diese Wälder öd,
In Gottes Lob vertreiben;
Laß dein Stimmlein laut erschallen,
Denn vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.«
     
    »Ei, das war sein Lebtag kein wildes Tier, welches dieses Lied sang!« rief da der Schulmeister Klopfstock aus, und Trilltrall sagte: »Ihr habt gut reden, lieber Vater! Ihr habt es nicht gesehen auf allen Vieren ans Wasser kriechen, dem Wildschwein die Ohrfeige geben und dann auf dem Baum herumbellen; freilich, als es das schöne fromme Lied so recht aus Herzensgrund durch den Baum sang, in welchen der Mond hineinschien wie in eine schöne Kirche, und als Echo, der wilde Wiederhall, und die liebe Frau Nachtigall auch sangen zu diesem Freudenschall, und der Quell lieblicher rauschte und der Wald andächtiger lauschte, da zogen die Wölkchen am Himmel nicht mehr so schnell, und der Mond ward noch einmal so hell, und alle meine Angst besänftigte sich; meine Seele, welche gewesen war wie ein Meer, in welches ein großer Felsen hineinstürzte, verwirrt und trüb voll niederschlagender Wellen, wurde nach dem ersten Verse schon wie ein See, in den ein Fisch, den ein Geier herausgeraubt, frisch und gesund wieder hineinfällt; und nach dem zweiten Vers wie ein See, auf welchen ein singender Schwan niederfliegt und schimmernde Gleise zieht; und nach dem dritten Vers wie ein See, in welchen eine vorüberreisende Taube ein Zweiglein von dem friedlichen Ölbaum fallen läßt; und nach dem vierten Vers wie ein See, in den ein vorüberziehendes Lüftlein ein Rosenblatt weht; und nach dem fünften Vers war es mir, als sei ich wie ein müdes Bienlein, das über den See fliegen wollte und gar nicht weiter konnte und in großer Angst war, da es zum Wasser herabfiel, auf dieses Rosenblatt gefallen, und als schiffe ich sicher und ruhig auf dem Rosenblättlein hinüber und lande jenseits in einem blumenvollen Garten, aus dem mir die Nachtigallen entgegenschmetterten; mein Herz war so ruhig wie ein Spiegel, in dem sich der Mond anschaut und vor dem der Friede sang:
Ach, hört das süße Lallen
Der kleinen Nachtigallen!«
     
    Nach diesen Worten sagte Gripsgraps: »Du bist doch ein recht närrischer Kerl, mein lieber Trilltrall! Du siehst so zottig aus wie ein Zeiselbär und sprichst dabei wie Honig so süß; warum sagst du nicht, es sei dir so ängstlich gewesen als mir, da ich zum erstenmal Gripsgraps machte?«
    »So war es mir nicht«, sagte Trilltrall, »denn ich hatte nichts

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