Italienische Märchen
unterging, setzte ich mich an einen Eichenstamm dem Felsen gegenüber und zog das Stück Brot aus der Tasche, welches ich noch von dem übrig hatte, das Ihr jedem von uns mitgegeben, und aß.
Nun kamen auf einmal eine ganz erstaunliche Menge Vögel scharenweise von allen Seiten angeflogen und nahmen von den großen Bäumen Besitz und fingen ein solches Trillern und Trallern an, daß man hätte denken sollen, jedes Blättchen auf allen Bäumen fange an zu singen. Auf einmal aber geschah ein lautes Pfeifen dazwischen, und alle waren so plötzlich still, als wäre ihnen die Pfeiferei allen vor dem Schnabel auf einmal mit einem scharfen Messer abgeschnitten, gerade so, als wenn du sonst in der Schule mit dem Bakel auf den Tisch schlugst und Silentium! riefst, liebster Vater! Und nun fing einer allein an zu pfeifen und dann pfiffen alle mit; aber gar nicht durcheinander, sondern alle das Nämliche und sehr schön im Takt, und nach den verschiedenen Stimmen pfiffen sie die Melodie des Abendlieds: »Nun ruhen alle Wälder«, worüber ich in das größte Erstaunen geriet und endlich leise anfing mitzupfeifen. Da sie den letzten Vers gepfiffen hatten, waren sie ein paar Minuten still, als beteten sie für sich, und dann war wieder ein ganz außerordentliches Gezwitscher durcheinander, als wünschten sich die Vögel gute Nacht, worauf sie auseinander in die verschiedenen Bäume nach ihren Nestern flogen.
Ich war durch diese wunderschöne und verständige Musik der Vögel ganz nachdenklich geworden und faßte schon den Entschluß, dort wohnen zu bleiben, bis ich ihren Gesang recht verstehen gelernt. Weil aber die Gegend sehr wild war, so wollte ich doch die Nacht nicht an der Erde zubringen, denn ich hörte manchmal in den Büschen rasseln, als wenn allerlei wilde Tiere da herumstreiften. Kaum war ich nun auf den Baum gestiegen, als ich von einem benachbarten Baum ein großes Tier herunterkommen sah, welches ich aber wegen der Nacht nicht recht erkennen konnte, es kroch auf allen Vieren nach der Quelle und trank. Nun kam auch noch ein großes wildes Schwein, welches ich an seinem Grunzen erkannte, an das Wasser, und da es sich in den Bach wälzen wollte, ärgerte sich das andere Tier und grunzte auch ein wenig, gerade als wenn es mit ihm zanke, daß es ihm das Bächlein trübe mache. Das Schwein aber ließ sich nicht stören, da gab ihm das andere Tier eine ganz gewaltige Ohrfeige, so daß das Schwein mit großem Klagegeschrei in den Wald fortlief.
Mit großem Erstaunen hatte ich dieses angesehen und war nicht wenig erschrocken, als das Tier gegen meinen Baum herkam und auf ihn hinaufzuklettern begann. Ich zitterte am ganzen Leibe und dachte: Ach, du mein Gott! was wird es mir erst für eine Ohrfeige geben! In dieser großen Angst fing ich an, höher im Baum hinaufzuklettern; als das Tier nun meine Bewegung hörte, begann es zu bellen wie ein Hund, und kroch immer hinter mir drein. Das Tier schien die Zweige des Baumes besser zu kennen als ich; denn es tat keinen Fehltritt und bellte immer hinter mir drein: ich aber kam auf immer dünnere Zweige, und auf einmal sah ich vor mir ein Paar große feurige Augen; es knappte eine Eule mit ihrem Schnabel gegen mich und schlug mit den Flügeln, und dicht hinter mir war das große bellende Tier. Ich wußte nicht mehr wohin, um mich zu retten; der Ast brach unter mir, und plumps fiel ich mit großem Geprassel von Zweig zu Zweig hinab an die Erde.
Zum guten Glück hatte ich mir keinen besonderen Schaden getan; aber meine Angst war ganz entsetzlich, und ich hatte den Mut nicht, mich im mindesten zu rühren oder einen Laut von mir zu geben. Ich blieb ruhig liegen, wo ich hingefallen war, und lauerte ganz scharf, ob das schreckliche Tier mir nachkommen würde. Es kam aber nicht, bellte nur noch eine Zeitlang hinter mir her und wurde hernach ganz ruhig. Da aber durch das Herumkriechen in dem Baum die Vögel aufrührerisch geworden waren, so hörte ich hie und da ein Gepfeife in den Bäumen und einen, der sehr seltsam pfiff, wie ich noch nie etwas gehört. Sodann wurden sie alle nach und nach stille.
Ich rührte mich nicht und hörte nach einer Weile ein ganz entsetzliches Schnarchen, als wenn man Holz säge. Ach, dachte ich, was muß das Tier für ein abscheulich großes Maul haben, das so gewaltig schnarchen kann! Nun ging der Mond über dem Walde auf und goß seinen wunderbaren Glanz durch die Bäume; da blickte ich mit Angst in das Gelaube des Baumes hinein, von dem ich gefallen war,
Weitere Kostenlose Bücher