Italienische Novellen, Band 1
blind, oder ihr macht Flausen.«
Die zwei andern standen nun auf und gingen vorsichtig nach dem Bette zu, lachten und taten, als glaubten sie, jener wolle sich über sie lustig machen.
»Ich sage«, fuhr er fort, »ich sehe euch nicht.«
Am Ende taten die beiden, als kommen sie in heftiges Erstaunen, und einer sprach zu dem andern: »Ei weh, ich glaube fast, es ist ihm ernst. Gib einmal das Licht her! Dann wollen wir sehen, ob ihm wirklich sein Gesicht getrübt ist.«
Darauf nahm denn der arme Schelm als gewiß an, daß er blind geworden sei, weinte laut und sprach: »O liebe Brüder, ich bin blind!«
Da fing er gleich an, Unsere Liebe Frau von, Loretto anzurufen und sie zu bitten, ihm die Lästerungen und Verwünschungen zu verzeihen, die er über sie ausgestoßen, weil er sein Geld verloren hatte. Die zwei Gesellen trösteten ihn jedoch und sagten: »Es ist nicht möglich, du mußt uns sehen. Das hast du dir nur so in den Kopf gesetzt.«
»Nein, nein«, entgegnete jener, »ich habe mir es nicht nur so in den Kopf gesetzt. Ich sehe euch so wenig, als wenn ich niemals Augen im Kopf gehabt hätte.«
»Dein Blick ist ja doch ganz hell«, antworteten die beiden. »Sieh nur«, sprach einer zum andern, »wie gut er die Augen aufmacht und wie schön sie sind! Wer sollte glauben, daß er nicht daraus sieht?«
Der arme Tropf weinte immer heftiger und flehte Gott um Erbarmen an. Am Ende sagten die beiden zu ihm: »Tue ein Gelübde, zu Unserer Lieben Frauen in Loretto barfuß und nackt eine Pilgerfahrt zu tun: denn das ist das beste Mittel, das es gibt. Unterdessen wollen wir nach Acquapendente und in die andern nahe gelegenen Ortschaften gehen und uns nach einem Arzte umsehen; wir wollen dir es an nichts fehlen lassen.«
Darauf kniete der Unglückliche sogleich im Bette nieder und tat unter unendlichen Tränen und in bitterer Reue über seine gotteslästerlichen Reden ein feierliches Gelübde, nackt zu der heiligen Jungfrau nach Loretto zu gehen und ihr ein Paar silberne Augen darzubringen, auch am Mittwoch kein Fleisch und am Freitag keine Eier zu essen und mit Wasser und Brot jeden Samstag zu Ehren der heiligen Jungfrau zu fasten, wenn sie ihm die Gnade erzeige, daß er sein Gesicht wiedererlange.
Die beiden Gesellen gingen sodann in ein anderes Zimmer, zündeten ein Licht an und traten unter schallendem Gelächter wieder vor den armen Schelm, der, wiewohl er sich frei fühlte von einer, wie sich denken läßt, nicht geringen Herzensangst, nicht nur nicht zu lachen, sondern nicht einmal zu sprechen vermochte, und die zwei Gesellen ließen ihn auch jetzt noch mit ihren Stichelreden nicht in Ruhe, sondern behaupteten, er müsse durchaus die Gelübde einlösen, denn es sei ihm ja die erflehte Gnade zuteil geworden.
Luigi da Porto
1485 – 1529
Romeo und Giulietta
(Shakespeare, Romeo und Julia)
In der Zeit, da der Himmel nicht allen seinen Groll auf mich gewandt, in den schönen Tagen meiner Jugend, ergab ich mich dem Waffenhandwerke nach dem Beispiel vieler großer und wackerer Männer und trieb diese Übung einige Jahre in euerm anmutigen Vaterlande Friaul, durch das ich, nach den Umständen in geheimem Dienste bald da-, bald dorthin gewiesen, zu gehen hatte. Ich hatte es immer im Gebrauch, wenn ich ritt, einen Bogenschützen mit mir zu nehmen, einen Mann von vielleicht fünfzig Jahren, der in seinem Geschäft sehr erfahren, sehr angenehm im Umgang und wie fast alle Veronesen (denn er war aus Verona gebürtig) gesprächig war. Er hieß Peregrino. Dieser Mann war nicht nur ein herzhafter und erfahrener Soldat, sondern sehr lebenslustig und, vielleicht mehr als es sich für seine Jahre schickte, fortwährend mit Liebesangelegenheiten beschäftigt, was denn seine Tapferkeit verdoppelte. Auch erzählte er gerne die allerschönsten Novellen, zumal solche, die von Liebe handeln, in der besten Ordnung und so reizend, wie ich sie nie von sonst jemand gehört habe. Als ich daher von Gradisca, wo ich in Quartier lag, mit diesem und zwei andern meiner Leute, vielleicht durch die Liebe getrieben, nach Udine ging, auf der Straße, die damals ganz einsam, vom Krieg zerstört und verbrannt war, und ich, in düstern Gedanken versunken, mich entfernt von den andern hielt, ritt der genannte Peregrino, mein Inneres ahnend, heran und sprach also zu mir: »Wollt Ihr immer traurig leben, weil eine schöne Grausame, der es ganz anders zumute ist, Euch nicht liebt, wie Ihr wünscht? Ich weiß wohl, daß ich gegen mich selbst rede, aber
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