Italienische Novellen, Band 1
erwartete Sonntagsmorgen kam und das Gerüst, von den hohen Personen und der Platz vom Volke angefüllt war, wurde die Messe gefeiert und sodann die Besessene auf das Gerüst geführt, geleitet von zwei Bischöfen und vielen vornehmen Herren. Als Roderigo die Volksmenge und die großen Zurüstungen sah, war er ganz verblüfft und sprach bei sich selbst: »Was hat sich nun wohl der elende Bauernlümmel mit mir ausgedacht? Glaubt er, mich durch das Gepränge einzuschüchtern? Weiß er nicht, daß ich die Pracht des Himmels und das Entsetzen der Hölle zu schauen gewohnt bin? Ich werde ihn schon dafür büßen lassen.« Dann, als Giovanni Matteo an seine Seite trat und ihn nochmals bat, auszufahren, sagte er zu ihm: »Ei, da hast du ja eine herrliche Erfindung gemacht. Was gedenkst du mit all dem Zeuge anzufangen? Glaubst du hierdurch meiner Übermacht und dem Zorn des Königs zu entgehen? Du Rüpel! Du Schuft! Du sollst mir hängen, du magst anfangen, was du willst!«
Als Giovanni Matteo ihn nochmals gebeten, aber nur neue Schimpfreden zur Antwort erhalten hatte, glaubte er, nun weiter keine Zeit verlieren zu dürfen. Er machte also das verabredete Zeichen mit dem Hute, und alle die, welche bestellt waren, den Lärm anzurichten, ließen mit einemmal ihre Instrumente zum Himmel erklingen und zogen so zu dem Gerüste heran. Bei dem unerwarteten Lärm spitzte Roderigo die Ohren, und da er durchaus nicht wußte, was das war, fragte er voll Staunen und Verwunderung den Giovanni Matteo, was das bedeute. Giovanni Matteo antwortete ihm ganz bestürzt: »Weh mir, Freund Roderigo, das ist deine Frau, die dich wieder zu sich holen will.«
Es läßt sich kaum denken, welche Veränderung es in Roderigos Stimmung hervorbrachte, als er von seiner Frau reden hörte. Seine Erschütterung war so groß, daß er, ohne zu erwägen, ob es möglich und denkbar sei, daß sie es sei, und ohne etwas zu erwidern, in Furcht und Grausen entfloh und das Mädchen freigab. Belfagor wollte lieber in die Hölle zurückkehren, um von seinen Taten Rechenschaft abzulegen, als sich von neuem unter all der Widerwärtigkeit, Unlust und Gefahr dem Joche der Ehe unterwerfen. In die Hölle zurückgekehrt, bekräftigte er das Unheil, welches ein Weib in ein Haus bringt; Giovanni Matteo aber, der davon noch mehr zu sagen wußte als der Teufel, machte sich bald nachher munter und guter Dinge auf den Weg nach Hause.
Baldassare Castiglione
1478 – 1529
Der blinde Spieler
Als ich einst in Paglia übernachtete, traf es sich, daß in derselben Herberge, wo ich war, sich noch drei andere Reisende aufhielten, zwei von Pistoja, der dritte von Prato. Nach dem Nachtessen setzten sie sich, wie das so zu gehen pflegt, zum Spiele, und so dauerte es nicht lange, da hatte einer von den beiden Pistojern seine Barschaft verloren und saß bar und bloß da ohne einen Heller im Beutel. Da fing er an in seiner Verzweiflung heftige Flüche und Verwünschungen auszustoßen, und mit diesem schlimmen Abendsegen legte er sich schlafen. Nachdem die andern zwei noch eine Weile fortgespielt hatten, beschlossen sie, dem, der ins Bett gegangen war, einen Spuk zu spielen. Sobald sie daher merkten, daß er schlief, löschten sie die Lichter aus und versteckten das Feuer; dann fingen sie an laut zu sprechen und einen Höllenlärm aufzuschlagen, als kämen sie über dem Spiele in Streit.
»Du hast hinuntergesehen nach der Karte«, rief der eine. »Nein«, sprach der andere, »du hast nicht Farbe bekannt. Das Spiel gilt nicht.«
Dies und ähnliches riefen sie mit so lauter Stimme, daß der Schlafende erwachte. Und als er hörte, daß sie spielten und sprachen, als sähen sie die Karten, machte er die Augen ein wenig auf, und da er kein Licht im Zimmer sah, sagte er: »Was Teufels soll das heißen, daß ihr die ganze Nacht durch fortschreit?« Darauf drehte er sich um, als wollte er gleich wieder weiterschlafen. Die zwei Gesellen aber gaben ihm weiter kein Gehör, sondern fuhren in ihrem Treiben fort, so daß jener noch besser aufwachte und sich zu wundern anfing. Denn da er kein Feuer noch sonst eine Helle sah und sie doch spielen und streiten hörte, sagte er: »Wie könnt ihr denn die Karten sehen ohne Licht?«
Darauf sagte einer der beiden: »Es scheint, du hast zu deinem Geld hin auch deine Augen verloren. Siehst du nicht, daß wir hier zwei Lichter haben?«
Der, der im Bette war, richtete sich nun auf, stemmte sich auf den Arm und rief fast zornig: »Entweder bin ich betrunken oder
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