Italienische Novellen, Band 1
werden sollte, zu dem viele Edle herbeiströmen würden. Meine Dame, dachte er, wird zugegen sein und außerdem so viel Ritter und Damen, als sie zum Gnaderufen verlangt. Er erfand nun eine sehr schöne Kanzonette, und am Morgen begab er sich an einen erhöhten Platz und begann jene Kanzonette so gut er's verstand zu singen, und er verstand es vortrefflich. Sie lautete etwa so: »So wie der Elefant, wenn er gefallen ist, sich nicht erheben kann, bis ihn andere mit dem Ruf ihrer Stimme erheben, so tue auch ich: denn mein Vergehen ist mir so schwer und drückend, daß der Hof von Puy mir vergällt ist. Und wenn die Bitte tadelloser Liebhaber mich nicht wieder aufhebt, so komme ich nie wieder auf die Füße. Möchten sie geruhen, dort für mich um Gnade zu rufen, wo meine Bitten nichts fruchten, usw.« Hierauf schrien alle, die auf dem Platze waren, um Gnade, und die Edelfrau verzieh ihm, und hiermit erlangte er ihre vorige Gunst wieder.
Gottes Wille geschieht
Der König von Frankreich führte Krieg mit dem Grafen von Flandern; zwei Schlachten waren schon geschlagen, in denen viel gute Ritter und eine große Menge Volks von beiden Seiten den Tod gefunden, gewöhnlich aber der König den kürzern gezogen hatte. Um diese Zeit pflegten zwei Blinde auf der Straße vor Paris zu stehen, um Almosen zu ihrem Lebensunterhalt zu sammeln. Unter diesen entspann sich ein lebhafter Streit: den ganzen Tag sprachen sie über den König von Frankreich und den Grafen von Flandern. Einer sagte zu dem andern: »Höre, was sagst du? Ich sage, der König wird siegen.« Der andere erwiderte: »Nein, der Graf«; und er setzte dann hinzu: »Es wird geschehen, was Gott gefällt.« So stritten sie jeden Tag über den Ausgang der Kriegsbegebenheiten.
Ein Edelmann vom Hofe, der mit seinen Leuten jene Straße ging, blieb eines Tages stehen, um den Streit der Blinden mit anzuhören; dann begab er sich an den Hof zurück und erzählte dem König zu großer Belustigung der Anwesenden, wie die beiden Blinden den ganzen Tag über ihn und den Grafen in Streit lägen. Der König lachte und schickte einen Edelknecht ab, um dem Streit zuzuhören und sich zu merken, wer von beiden das eine und wer das andere behaupte. Dieser ging, horchte genau auf und stattete dem König Bericht ab.
Alsbald berief der König seinen Seneschall und befahl ihm, zwei große Brote aus feinem Mehl backen zu lassen. Bevor sie in den Ofen kämen, solle er in das eine zehn Goldstücke in geraumer Entfernung voneinander verbergen, in das andere aber nichts: wenn sie dann gar seien, solle der Edelknecht sie den beiden Blinden um Gottes willen schenken, und zwar das mit dem Gelde demjenigen, der den Sieg des Königs von Frankreich behaupte, das andere dem, der der Meinung sei, Gottes Wille werde geschehen.
Der Edelknecht tat nach den Königs Befehl. Als der Abend kam, kehrten die Blinden nach Hause; der, welchem das Brot ohne das Geld zuteil geworden war, sprach zu seiner Frau: »Gott hat uns heute wohlbedacht: genießen wir seiner Gaben!« Sie setzten sich und aßen das Brot rein auf, so wohl schmeckte es ihnen. Der andere Blinde, der das goldbeschwerte Brot erhalten hatte, sprach am Abend zu seinem Weibe: »Frau, laß uns dieses Brot aufbewahren und morgen verkaufen, damit wir etwas Bargeld in die Hände bekommen: wir können ja heute von den Brotscheiben zehren, die wir erbettelt haben.«
Am Morgen standen sie auf, und jeder begab sich mit seiner Frau dahin, wo sie gewohnt waren, zu stehen und die Vorübergehenden anzusprechen. Als sie dahin kamen, sprach der eine, der sein Brot verzehrt hatte, zu seinem Weibe: »Frau, unser Gefährte dort, der wie wir von Almosen lebt und mit dem ich immer streite, hat doch auch ein Brot von dem Edelknecht des Königs erhalten?« – »Allerdings«, antwortete die Frau. – »Nun wohlan«, fuhr jener fort, »so gehe doch zu seiner Frau und höre, ob sie es verkaufen wollen? Du kannst schon etwas daran wenden: das unsrige schien mir sehr schmackhaft.« – »Denkst du denn«, entgegnete die Frau, »sie werden es nicht ebensogut wie wir zu essen verstanden haben?« – »Wer weiß ?« entgegnete der Blinde; »vielleicht haben sie es aufbewahrt, um einige Batzen dafür zu lösen, und sich nicht getraut, es zu verzehren, wie wir taten, weil es so schön war und so groß und weiß.«
Da die Frau den Willen des Mannes vernahm, ging sie zu der Frau des andern und fragte, ob sie das Brot, das ihr der Edelknecht des Königs geschenkt, schon verzehrt
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