Italienische Novellen, Band 2
die Wahrheit niemals anders als aus Versehen sprach! Ich glaube, er entführte dich nach Biskaya, um dich seine Ziegen hüten zulassen; denn man weiß ja wohl, was er besaß, und wenn er hätte zu Hause bleiben und sich nur einen Knaben zur Bedienung halten müssen, so hätte er nicht für sechs Monate zu leben gehabt. Du magst aber vielleicht sagen wollen: »Ich bin reich und habe Vermögen genug, um meinem Stande gemäß mit Ehren auszukommen.« Erinnere dich indessen nur, daß deine Mutter noch eine rüstige Frau ist, die noch lange leben kann, und die, solange sie lebt, über ihr Besitztum zu gebieten hat! Hättest du dich dem elenden Basken vermählt, sie würde dich nimmer haben wiedersehen wollen, und ich weiß nicht, wie du mittlerweile hättest leben können. Du würdest gewiß die Toten beneidet haben. So viel weiß ich, wenn Don Diego sich von mir raten ließe, so würde die Sache viel besser gehen, und du würdest gewiß nicht so leicht jemand antreffen, der dich zur Frau begehrte; denn wenn man erführe, daß du einem Basken, einem Diener deines Hauses, nachgelaufen bist, wer müßte nicht dafür halten, daß du auch seine Buhldirne gewesen? Die Menschen sind viel geneigter, das Böse zu glauben, als das Gute. Da es denn nun aber Don Diego so haben will, so mag er seiner Neigung folgen und dich gegen alles Verdienst achten und lieben! Und du beachte deshalb, was ich dir gesagt habe: lege jetzt deine Halsstarrigkeit und unerbittliche Strenge ab und geh in dich, damit dir nicht am Ende dennoch widerfahre, was dir gar nicht wünschenswert sein möchte! Denn du darfst dich für versichert halten, daß ich dieses Unternehmen nicht begonnen habe, um es unvollendet zu lassen! Ich stelle also Wasser und Feuer vor dich hin, und du kannst von beidem nehmen, was dir zusagt.«
Das Mädchen war nunmehr nur um so härter und unbeugsamer und entgegnete dem Herrn Roderico mit stolzem, zürnendem Gesicht, nicht mehr wie ein zartes und schüchternes Mädchen, sondern wie ein mit den Schlägen eines widerwärtigen Schicksals vertrautes Weib, folgendermaßen laut: »Ritter, du hast gesprochen, wie es dir gefällig war. Ob es recht oder unrecht war, darüber will ich jetzt nicht mit dir streiten; aber du sollst wissen, daß ich eher auf das härteste Leiden gefaßt als willens bin, diesen treulosen Verräter je wieder zu lieben. Und wenn du mir den Tod gibst, wie du drohst, so werde ich ihn mit Freuden empfangen, um in ihm mit meinem unglücklichen Liebhaber und Gatten wieder vereinigt zu werden, den du grausamerweise gemordet hast. Ja, fang du es an, wie du immer willst, – du wirst mich immer standhafter finden: denn weder du noch die ganze Welt würde mich dazu bewegen, diesen Mann jemals wieder zu lieben.«
Diese herbe Antwort der gereizten Jungfrau erschütterte den Herrn Roderico dermaßen, daß er, in der Einbildung, vor seiner eigenen Dame zu stehen und von ihr dergleichen zürnende Worte zu vernehmen, von übergroßem Schmerze beinahe des Bewußtseins beraubt wurde. Er mußte sich zur Erde niedersetzen, wo er lange Zeit mit seiner Schwäche und Erschöpfung kämpfte, ohne imstande zu sein, ein Wort hervorzubringen. Unterdessen warfen die Zofe und der Diener des Mädchens, welche fürchteten, Herr Roderico möchte seiner Drohung gemäß seinen Zorn gegen sie wenden, sich ihrer Gebieterin zu Füßen und baten sie unter Tränen, den ehrsamen Forderungen Herrn Rodericos Gehör zu leihen und sich mit Don Diego auszusöhnen. Aber sie predigten tauben Ohren. Als der weinende Don Diego die höchst grausame Antwort seiner Gebieterin vernommen hatte, sank er halbtot zu Boden; der Genosse seiner Einsamkeit lief auf ihn zu, nahm ihn in den Arm und rieb ihn, wie man in solchen Fällen zu tun pflegt. Die andern Anwesenden umstanden die blonde Ginevra und sagten ihr, was ihnen irgend in den Sinn kommen wollte, um sie zu besänftigen, wiewohl sie gegen alle Vorstellungen so unbeweglich wie ein harter Fels im Meere blieb.
Herr Roderico hatte inzwischen wieder etwas Atem geschöpft und still bei sich erwogen, was zu tun sei. Unfähig, seinen Freund länger in einem Zustande so tiefer Betrübnis und schmerzlicher Qual zu sehen, sagte er zu der blonden Ginevra fortwährend weinend: »Ich komme von meinem Erstaunen über dich noch immer nicht zurück und vermag nicht zu begreifen, wie in der Brust einer so zarten Jungfrau eine so wilde Gesinnung wohnen kann. Es war mir eben jetzt, als stünde ich vor meiner eigenen Geliebten und
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