Italienische Novellen, Band 2
eitelm Triebe der Wollust die Frauen Eurer Untertanen zu notzüchtigen, wird dieses Eiland nicht mehr ein Königreich sein, sondern kann mit Fug ein wilder Wald voll Räuber und Mörder genannt werden; denn wo keine Gerechtigkeit ist, was kann da Schönes und Gutes wohnen? Wenn Ihr mit Schmeicheleien, Versprechungen und Geschenken meine Tochter überreden könnt, daß sie Euren Lüsten sich fügsam ergebe, so kann ich wohl über sie jammern als über ein unenthaltsames junges Weib, das der Sittsamkeit ihrer Vorfahren nicht eingedenk ist; aber von Euch kann ich nichts weiter sagen, als daß Ihr getan habt, wie gemeiniglich die Männer tun, die so viel Weiber aufsuchen, um sie zu genießen, als sie haben können; ihr wird alsdann die Schmach zuteil werden, die gewöhnlich an solchen unkeuschen Weibern haftet. Wenn Ihr mir nun sagt, daß ein Weib so viel Gewalt über Euch hat, wie Ihr mir sagt, daß Alix es hat, so kann ich dies nicht glauben; vielmehr sind es Worte, wie jeder Liebende sie zu sagen gewohnt ist, um zu zeigen, daß er glühend liebt. Aber überlegt einmal, wie passend das ist! Es übersteigt doch allen Anstand und Vernunft, daß, wer der Untertan sein soll, der höhere sei, und daß gehorche, wer befehlen muß. Ist das, o Herr, die Beständigkeit, ist das die Stärke, ist das die Seelenkraft und Sicherheit, die die Völker Englands von Euch erwarten können, um die Gemütsberuhigung zu haben, daß sie einen mannhaften, großherzigen König besitzen? Ich zweifle sehr, daß die Klugheit, die Gerechtigkeit, die Freigebigkeit, die menschliche und so höfliche Höflichkeit, die Voraussicht künftiger Fälle und die Sorge dafür und jene unermüdete fortwährende Acht noch in Euch wohnen, womit Ihr, als wir in der Picardie waren, Euer Heer mit solcher Eintracht geleitet habt, daß, obgleich es aus verschiedenen und mannigfaltigen Leuten zusammengesetzt war, nie die geringste Zwietracht darin herrschte; ich zweifle sehr, daß noch jene kriegerische List in Euch wohnt, die Euch einst so viel Ehre gemacht hat und bekanntlich so nützlich geworden ist. Und was mir von allem noch das Schlimmste scheint, ist, daß Ihr Eure Verirrung einseht und mit eigenem Munde gesteht, nichtsdestoweniger aber sie nicht verbessern wollt, vielmehr über den Fehler und die Sünde, die in Euch ist, einen Schleier und einen Schein der Sittsamkeit zu werfen sucht und doch nicht wißt, ihn aufzufinden. Ich, Sire, rufe Euch liebevoll ins Gedächtnis, daß Ihr den größten Ruhm erworben habt, indem Ihr den König Philipp und seine große und so zahlreiche Flotte, die vierhundert Schiffe zählte, zur See besiegt habt, indem Ihr sie brächet und zerstreutet und unter ihren Augen Doornick, die berühmte Stadt, besetztet, deren Bewohner einst so geachtet und in der alten Zeit Nervier geheißen waren. Und nicht geringerer Ruhm ward Euch, als Ihr ihn zu Crecy bei Abbeville besiegtet, wo französischerseits der König von Böhmen fiel, der Philipp zu Hilfe gekommen war, und viele Barone starben, die einzeln namentlich aufzuzählen zu lang wäre. Auch wuchs Euch sehr viel Ehre zu durch die Einnahme von Calais und unzählige andere Unternehmungen, die Ihr gemacht habt. Aber ich sage Euch, Sire, einen viel größeren und rühmlicheren Triumph werdet Ihr erlangen, wenn Ihr Euch selbst besiegt: denn das ist der wahre Sieg, der am meisten Ehre einbringt. Wenig half es Alexander dem Großen, so viele Provinzen besiegt und solche Heere niedergekämpft zu haben, da er sich nachher von seinen eigenen Leidenschaften besiegen und unterjochen ließ, was ihn viel kleiner machte als seinen Vater Philipp, der nicht so viele Reiche erobert hatte wie sein Sohn. Darum, mein Gebieter, besiegt diese törichte Begierde und laßt Euch nicht verleiten, durch eine so unanständige Handlung zu verlieren, was Ihr so ruhmvoll erworben habt, und einen so garstigen Fleck auf die Glätte Eures Ruhms zu werfen! Glaubt nicht, daß ich Euch so viel davon sage, bloß weil ich nicht ausführen mag, was ich Euch versprochen habe; denn ich beabsichtige, es ganz zu vollbringen; sondern, weil ich auf Eure Ehre viel eifersüchtiger geworden bin als Ihr auf die Eure und die meine seid, rate ich und bringe ich Euch dies in Erinnerung, was mir Euer Nutzen und Eure Ehre zu sein scheint. Und wenn Euch selbst nicht an Euch gelegen ist, – wem bei Gott soll an Euch liegen? Wer soll auf Eure Angelegenheiten achten, wenn Ihr nicht auf sie und auf Euch selber achtet? Aber wenn Ihr Verstand habt,
Weitere Kostenlose Bücher