Ivanhoe
Präzeptoren und Mitglieder dieses heiligen Ordens! und auch ihr, wohlgeborene fromme Knappen, die ihr danach strebt, einst das heilige Kreuz zu tragen, und auch ihr, meine Brüder in Christo jeglichen Standes! – Wir haben diese Versammlung in unserer Machtvollkommenheit berufen, denn es ist uns mit diesem Stabe die Befugnis verliehen worden, alles was das Wohl und Wehe unseres Ordens angeht, selber zu prüfen und abzuwägen. Wenn der reißende Wolf in unsere Herde einbricht, dann ist es die Pflicht des guten Hirten, seine Genossen zusammenzurufen, daß sie mit Bogen und Schleuder dem Räuber nachstellen. Wir haben daher ein jüdisches Weib vor uns zitiert – Rebekka, die Tochter des Juden Isaak von York, ein Weib, das berüchtigt ist durch seine Zauberkünste, mit denen es bestrickt hat Blut und Hirn nicht eines gemeinen Mannes, sondern eines Ritters, nicht eines weltlichen Ritters, sondern eines Ritters des Tempels – nicht eines bloßen Mitgliedes des Ordens, sondern eines Präzeptors, eines unter den ersten an Rang und Ruhm. Unsern Bruder Brian de Bois-Guilbert kennen wir und alle, die uns jetzt hören, wohl als einen echten und eifrigen Streiter des Kreuzes, dessen Arm manche Tat der Tapferkeit im heiligen Lande ausgeführt hat. An Weisheit und Verstandesschärfe gilt unser Bruder unter den Seinen nicht weniger, als an Tapferkeit und Manneszucht, so daß in Osten und Westen Brian de Bois-Guilbert als der genannt worden ist, der zum Nachfolger in meinem Amte ernannt werden könnte, wenn es dem Himmel gefallen sollte, uns unseren irdischen Mühen zu entheben. Und nun wird uns hinterbracht, daß ein so verehrungswürdiger Mann plötzlich seinen Stand, sein Gelübde und seine Brüder und seine Zukunft vergißt und in einer Leidenschaft so völlig geblendet und bestrickt ist, daß er sich mit einem jüdischen Mädchen herumtreibt, sie mit Gefahr seines eigenen Leibes schützt und sie sogar in einem unserer Präzeptorien unterbringt! Wir können nichts anders glauben, als daß den edeln Ritter ein böser Dämon oder ein abscheulicher Zauberspruch soweit getrieben hat. Könnten wir anders denken, so würden wir uns nicht durch Tapferkeit, nicht durch Ruhm, nicht hohen Rang, noch irgend eine irdische Rücksicht in unserem Urteil beirren lassen, und die Strafe sollte ihn schwer treffen. Brian de Bois-Guilbert sollte aus unserer Verbindung ausgestoßen werden, und wäre er auch unsere rechte Hand und unser rechtes Auge.«
Er hielt inne. Ein leises Gemurmel ging durch die Versammlung. Dann fuhr der Großmeister fort:
»So strenge sollte die Strafe einen Tempelritter treffen, der in so wichtigen Punkten gegen die Ordensregel verstoßen hätte. Aber wenn der Satan durch mächtige Zauberkünste Gewalt über den Ritter erlangt hat, so kann ihn nur eine Strafe treffen, die ihn zugleich von seiner Verirrung heilt, weil er mehr unser Mitleid als unsere Bestrafung verdient. Unser ganzer Zorn in all seiner Schwere fällt dann auf die, die an seinem Abfall schuld ist. Wer also sein unseliges Beginnen mitangesehen hat, trete vor und lege Zeugnis ab. Wir werden dann die Beweise prüfen und zusehen, ob wir uns mit der Bestrafung dieses heidnischen Weibes begnügen können, oder ob wir blutenden Herzens das Verfahren gegen unsern Bruder fortsetzen müssen.«
Verschiedene Zeugen wurden vorgerufen, die darüber auszusagen hatten, unter wie großer Lebensgefahr Bois-Guilbert Rebekka aus dem brennenden Schlosse gerettet hatte. Sie erzählten mit der gewöhnlichen Menschen eigenen Übertreibung, so daß die immerhin großen Gefahren, denen sich der Ritter ausgesetzt hatte, ins Ungeheuerliche gesteigert wurden. Die Art und Weise, wie er die Jüdin verteidigt hatte, wurde dargestellt als die Grenzen nicht nur der Vorsicht, sondern der tollkühnen, fast wahnsinnigen Tapferkeit überschreitend, und die Verehrung, die er für alles gezeigt hätte, was sie gesagt hatte, obwohl sie oft harte und vorwurfsvolle Worte gebraucht hätte, wurde so übertrieben dargestellt, daß sie bei einem so stolzen Manne allerdings unnatürlich erscheinen mußte. Alsdann wurde der Präzeptor von Templestowe gerufen und berichtete, wie Brian und Rebekka in das Präzeptorium gekommen seien. Malvoisin gab in sehr vorsichtiger und besonnener Weise sein Zeugnis ab. Mit sichtlicher Reue gestand er seinen eigenen Fehltritt ein. »Aber was ich zu meiner Verteidigung zu sagen habe, das habe ich bereits unserm hochwürdigen Großmeister bekannt. Er weiß, daß meine
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