Ivo Andric
Alkohols. Und je mehr und je lebhafter er
erklärt, desto mehr lachen und spotten alle um ihn herum. Sie lachen so sehr
und so von Herzen, daß sich ihre Weichen aufblähen und ihre Kiefer krachen von
diesem Gelächter, das ansteckend, nicht zu bändigen und süßer ist denn jegliche
Speise und jeglicher Trank. In diesem Gelächter vergessen sie die Langeweile der
Winternacht, und auch sie trinken wie Tschorkan ohne jegliches Maß.
»Bring dich um!« sagt ihm Mehaga
Saratsch, der es mit seiner kalten und scheinbar ernsten Art am besten
versteht, Tschorkan herauszufordern und zu reizen. »Wenn du nicht fähig warst,
Paascha diesem alten Knacker, dem Hadschi Omer, abzunehmen, dann brauchst du
nicht zu leben. Bring dich um, Tschorkan, das ist mein Rat.«
»Ja, < bring dich um, bring dich
um > «, rechtfertigt sich Tschorkan, »glaubst du, daß ich nicht selbst schon
daran gedacht habe? Hundert Male war ich so weit, von der Kapija in die Drina
zu springen, und hundert Male hat mich etwas zurückgehalten.«
»Was hat dich zurückgehalten? Die
Angst hat dich zurückgehalten, Schiß gehabt, Tschorkan!«
»Nein, es war keine Angst, bei Gott,
es war keine Angst.«
Unter allgemeinem Lärm und Lachen
springt Tschorkan auf, schlägt sich auf die Brust, bricht ein Stückchen von dem
vor ihm liegenden Brot ab und hält es dem unbeweglichen und kalten Mehaga vor
das Gesicht.
»Siehst du das da? Nun, so wahr dies
Brot und eine Gabe Gottes ist, so wahr ist keine Furcht, sondern...«
Da beginnt plötzlich irgendwer leise
und unerwartet zu singen:
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Dein Gesicht ist schon im Schatten.
Und alle greifen das Lied auf und
übertönen Mehaga, der Tschorkan zuschreit:
»Bring – dich – um!«
Und so singend, verfallen sie selbst
in die gleiche Begeisterung, in die sie diesen armen Kerl versetzen wollten,
bis am Ende alles in einer vollkommen wilden Sauferei endet.
Eine Februarnacht hatten sie so
durchtobt und waren, gemeinsam mit ihrem Opfer Tschorkan, selbst zu Opfern
ihres Unfugs geworden. Es war schon Tag geworden, als sie alle gemeinsam die
Schenke verließen und so erhitzt, dampfend und mit vom Trunk geröteten Köpfen
auf die Brücke hinausgingen, die fast ganz verödet und mit einer dünnen
Eisschicht bedeckt dalag. Mit großem Geschrei und brüllendem Lachen, ohne auf
die wenigen ersten Vorübergehenden zu achten, wetteten sie, wer es wagen
würde, über die Brücke zu gehen, aber auf der steinernen Einfassung, die von
dünnem Eis glitzerte.
»Tschorkan wagt es«, rief einer der
Betrunkenen.
»Er wagt es nicht! Ausgerechnet
Tschorkan!«
»Wer wagt es nicht? Ich? Jawohl, ich
wage es, was kein lebender Mensch wagt«, schrie Tschorkan und schlug sich
dröhnend auf die Brust.
»Du wagst es nicht! Versuch es
doch!«
»Ich wage es, bei Gott!«
»Tschorkan wagt es, er wagt es!«
»Er wagt es nicht! Er lügt!«
So überschrien die betrunkenen
Männer einander großsprecherisch, obgleich sie sich auch auf der breiten
Brücke kaum auf den Beinen hielten, denn sie alle torkelten, rutschten und suchten
aneinander Halt.
Sie bemerkten nicht einmal, als
Tschorkan auf die steinerne Einfassung kletterte. Plötzlich sahen sie ihn, wie
er über ihnen schwebte und sich, betrunken und außer Rand und Band, wie er war,
bemühte, sich aufrecht zu halten und auf den Platten der Einfassung zu gehen.
Die steinerne Einfassung ist nur
drei Spannen breit. Tschorkan taumelt bald nach links, bald nach rechts. Links
ist die Brücke, und auf ihr, hier zu seinen Füßen, der Haufe trunkener Männer,
die ihn begleiten und ihm einige Worte zurufen, die er kaum unterscheidet und
nur als unverständliches Geräusch hört. Rechts aber ist Leere, und in dieser
Leere, irgendwo tief unten, rauscht der unsichtbare Fluß, von ihm steigt ein
dichter Dampf auf und erhebt sich wie weißer Rauch in den frostigen Morgen.
Die vereinzelten Passanten blieben
stehen und betrachteten erschreckt und mit aufgerissenen Augen den betrunkenen
Mann, der sich, statt auf der Brücke, auf deren schmaler und glatter Einfassung
bewegte, emporgehoben über die Tiefe, verzweifelt mit den Armen schwenkend, um
das Gleichgewicht zu halten. Auch von der betrunkenen Gesellschaft blieben
einige etwas Nüchternere und Besonnenere wie erwacht stehen und betrachteten
das gefährliche Spiel. Die anderen erfaßten die Gefahr nicht, gingen neben der
Einfassung her und begleiteten mit ihrem Geschrei den Betrunkenen, der,
schwankend und taumelnd,
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