Ivo Andric
klopfen und Glück zu
wünschen, als ob Paascha unter so vielen anderen gerade ihn erwählt und ihm
eine Aufmerksamkeit erwiesen, die noch keiner von ihr je erfahren habe.
In jener Nacht trank man in der
Vorstadt neben dem Fluß unter Nußbäumen bis zum Morgengrauen. Tschorkan saß
neben dem Feuer, zurückgelehnt und feierlich, bald hingerissen und singend,
bald besorgt und nachdenklich. In dieser Nacht liegen sie ihn nicht bedienen
noch bei der Zubereitung des Kaffees oder des Essens mithelfen.
»Weißt du denn überhaupt, was ein
Stengel Balsamkraut, von Mädchenhand geworfen, bedeutet?« fragte ihn einer von
ihnen. »Er bedeutet, daß dir Paascha ausrichtet: < Ich verschmachte nach dir
wie diese abgerissene Blume, und du wirbst nicht um mich, noch läßt du mich
einen anderen nehmen. > Das bedeutet es.«
Und alle sprachen sie ihm von
Paascha, der weißen, keuschen, einzigartigen, die sich wie eine reife Traube
über die Mauer des Hofes winde und auf die Hand warte, die sie abpflücken
werde, aber der, auf den sie am meisten warte, das sei eben er, Tschorkan.
Die Herren stellen sich wütend und
beklagen sich: warum sie gerade auf ihn ein Auge geworfen? Andere verteidigen
ihn. Tschorkan aber trinkt. Bald glaubt er an dies Wunder, bald weist er es als
Unmöglichkeit zurück. Im Gespräch verteidigt er sich gegen die Scherze der
Herren, behauptet, daß dies nichts für ihn sei, daß er arm, gealtert und
unansehnlich sei, aber in den Augenblicken des Schweigens träumt er doch selbst
von Paascha, von ihrer Schönheit und dem Glück, das sie schenken kann,
gleichviel, ob es für ihn erreichbar ist oder nicht. Aber alles ist möglich in
dieser tiefen Sommernacht, die sich von Raki, von Liedern und dem brennenden
Feuer auf der Wiese ins Unendliche weitet; nichts ist wirklich, aber nichts
ist unwahrscheinlich oder völlig ausgeschlossen. Die Herren verstellen sich und
treiben mit ihm Spott, das weiß er; die Herren können nicht ohne Gelächter
leben, sie müssen irgend jemand necken und mit ihm ihre Narreteien treiben, das
ist schon immer gewesen, und so ist es auch heute. Aber wenn auch das alles
Scherz ist, kein Scherz ist sein Traum von der herrlichen Frau und der unerreichbaren
Liebe, von der er immer geträumt hat und auch heute träumt, kein Scherz sind
diese Lieder, in denen die Liebe ebenso wirklich wie unwirklich und die Frau
ebenso nahe und doch unerreichbar ist wie in seiner Phantasie. Für die Herren
ist alles Scherz, auch dies, für ihn aber ist es Wahrheit und heiliger Ernst,
die er seit je in sich trägt und die wahrhaft und zweifellos bestehen,
unabhängig von der Kurzweil der Herren, von Trunk und Lied, unabhängig von
allem, ja auch von Paascha selbst.
Alles dies weiß er wohl, und alles
dies vergißt er wiederum. Denn seine Seele vergeht, und sein Verstand zerrinnt
wie Wasser.
So ist Tschorkan drei Jahre nach
seiner großen Liebe und Skandalgeschichte mit der deutschen Seiltänzerin in
einen neuen und gewaltigen Liebeswahn verfallen, und so haben die müßigen
Bürger ein neues, ebenso grausames wie erregendes Spiel gefunden, das
ausreicht, sie monate- und jahrelang zu erheitern.
Das war im Hochsommer. Der Herbst
ist vergangen und der Winter gekommen, aber Scherz und Spiel mit Tschorkans
Liebe zur schönen Paascha füllt den Männern aus der Stadt die Abende und
verkürzt ihnen die Tage. Sie rufen Tschorkan nicht anders denn »Bräutigam« und
»Liebhaber«. Am Tage, während er verkatert und unausgeschlafen in den Läden
kleine und große Arbeiten verrichtet, wundert und ärgert sich Tschorkan, daß
sie ihn so rufen, und zuckt mit den Achseln; sobald aber die Nacht
herniedersinkt, werden die Lampen in Zarijas Schenke angezündet, und irgend
jemand ruft: »Rum für Tschorkan!«, ein anderer hebt leise zärtlich und wie
zufällig an zu singen:
Akscham 22 sinkt hernieder;
Dein Gesicht ist schon im Schatten.
Mit einem Schlage ist nun alles
verändert. Es gibt keine Lasten, kein Achselzucken mehr, es gibt keine Stadt,
keine Schenke, nicht einmal den Tschorkan mehr, so wie er wirklich ist, durchgefroren,
unrasiert, eingehüllt in Lumpen und abgelegte fremde Kleider. Es gibt nur einen
hohen Altan, beleuchtet von der untergehenden Sonne, weinumrankt, mit einem
Mädchen, das ausschaut und wartet, wem sie einen Strauß Balsamkraut zuwerfen
soll. Es gibt zwar auch ein dröhnendes Gelächter um ihn herum, alle möglichen
Bemerkungen und groben Hänseleien, aber das liegt alles fern, wie in einem
Nebel,
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