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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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nur der, welcher singt, ist ganz nahe, hier neben seinem Ohr:
    Ach wie gerne möchte ich mich wärmen
    Am Sonnenglanz bei dir!
    Und ihn wärmt diese erträumte, diese
untergegangene Sonne, wie ihn noch niemals jene wirkliche erwärmte, die über
der Stadt tagaus, tagein auf- und untergeht:
    »Rum für
Tschorkan!«
    So vergingen die Winternächte. Gegen
Ende des Winters ereignete sich Paaschas Hochzeit. Die arme Stickerin aus
Duschtsche, mit ihrer Schönheit und ihren noch nicht neunzehn Jahren,
heiratete Hadschi Omer, hinter der Festung, einen reichen und angesehenen Mann
von fünfundfünfzig Jahren, und das als Nebenfrau.
    Hadschi Omer ist schon über dreißig
Jahre verheiratet. Seine Frau stammt aus einer großen Familie, sie ist als
geschickt und klug bekannt. Ihr Besitz hinter der Festung ist ein ganzer Weiler,
der gedeiht und voll von allen guten Dingen ist; ihre festen Läden in der Stadt
geben ein sicheres und großes Einkommen. Und alles dies ist nicht so sehr das
Verdienst des ruhigen und unbeweglichen Hadschi Omer, der nur zweimal des Tages
von hinter der Festung bis in die Stadt reitet, als vielmehr der beweglichen
und klugen, immer lächelnden Frau Hadschi Omers. Für alle türkischen Frauen in
der Stadt und Umgebung ist ihre Meinung maßgebend und das letzte Wort in vielen
Fragen. Dies ist in allem die angesehenste Familie, aber die beiden schon
altgewordenen Leute haben keine Kinder. Lange hat sie die Hoffnung gehalten.
Hadschi Omer ist zur Kaaba nach Mekka gepilgert, die Frau hat für Arme und
fromme Stätten gespendet, die Jahre sind vergangen, alles ist bei ihnen
gewachsen und gediehen, aber beim Wichtigsten fehlte der Segen.Weise und voller
Würde trugen sie ihr Unglück, Hadschi Omer und seine kluge Hanuma 23 ,
aber Hoffnung auf Nachwuchs konnte nicht mehr sein. Die Frau stand in ihrem
fünfundvierzigsten Jahre. Es ging um das große Erbe, das Hadschi Omer
hinterlassen würde. Mit dieser Frage befaßten sich nicht nur seine Verwandten
und die seiner Frau, sondern ein wenig auch die ganze Stadt. Die einen
wünschten, diese Ehe möge bis zum Ende ohne Kinder bleiben, andere wiederum
meinten, es sei schade, wenn ein solcher Mann ohne Nachkommen sterbe und
irgendwelche Verwandten seinen Besitz teilten und verzettelten, und daher
redeten sie ihm zu, eine andere, jüngere Frau zu nehmen, solange es noch Zeit
sei und noch Aussicht auf Nachwuchs bestehe. In dieser Frage teilten sich die
Türken der Stadt in zwei Lager. Gelöst wurde die Frage durch Hadschi Omers
Frau, die Unfruchtbare, selbst. Offen, entschlossen und ehrlich, wie sie alles
tat, sprach sie zu ihrem unentschlossenen Mann:
    »Alles hat uns Gott gegeben, Dank
und Lob sei ihm dafür, Eintracht, Gesundheit und Reichtum, aber was jeder
Ärmste besitzt, das hat er uns versagt: daß wir Kinder haben und wissen, wem
wir das alles hinterlassen. Das ist mein böses Geschick. Aber wenn ich es nach
Gottes Willen tragen muß, du mußt es nicht. Ich sehe, daß die Stadt sich
bemüht, dich zu verheiraten und sich um unsere Sorgen zu kümmern. Nun, wenn
sie dich verheiraten wollen, dann will lieber ich dich verheiraten, denn
niemand ist dir ein besserer Freund als ich.«
    Und die Frau brachte ihm ihren Plan
vor: da keinerlei Aussicht mehr bestehe, daß sie beide Kinder haben könnten,
so müsse er, neben ihr, eine andere Frau nehmen, eine jüngere, mit der er noch
Kinder haben könne. Das Gesetz gebe ihm das Recht dazu. Sie würde natürlich
weiter im Hause bleiben als die »alte Hadschi-Frau« und achtgeben, daß alles
ordnungsgemäß verlaufe.
    Hadschi Omer sträubte sich und
behauptete, daß er keinen besseren Gefährten als sie suche und daß er keine
andere und jüngere Frau brauche. Aber Hadschi Omers Frau blieb nicht nur bei
ihrer Meinung, sondern sie eröffnete ihm auch, wen sie ihm als Frau auserwählt
habe. Wenn er schon heiraten und ein Kind haben müsse, dann sei es am besten,
wenn er ein gesundes, junges und schönes, armes Mädchen nähme, die ihm
gesunden Nachwuchs schenken und zeit ihres Lebens ihrem glücklichen Geschick
danken würde. Ihre Wahl sei auf die schöne Paascha, die Tochter jener Stickerin
aus Duschtsche, gefallen.
    Und so geschah es. Nach dem Willen
seiner älteren Frau und mit ihrer Hilfe heiratete Hadschi Omer die schöne
Paascha. Und elf Monate später gebar ihm Paascha einen gesunden Knaben. Damit
war die Frage von Hadschi Omers Nachfolge gelöst, viele Hoffnungen der
Verwandten vernichtet und der Stadt das Maul gestopft.

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