Ivo Andric
Paascha war glücklich,
die »alte Hadschi-Frau« zufrieden, und sie lebten in Hadschi Omers Hause
einmütig wie Mutter und Tochter.
Dieses glückliche Ende der Frage von
Hadschi Omers Nachfolge war für Tschorkan der Beginn von neuem Mißgeschick. In
diesem Winter war Tschorkans Trauer um Paaschas Heirat die Hauptunterhaltung
der Müßiggänger in Zarijas Schenke. Der unglückliche Liebhaber trank wie nie
zuvor; die Herren hielten ihn frei, und für sein Geld konnte ein jeder Tränen
lachen. – Übermütig richteten sie ihm erfundene Bestellungen von Paascha aus
und versicherten ihm, daß sie Tag und Nacht weine und sich nach ihm verzehre,
ohne irgend jemand den wahren Grund ihres Kummers zu sagen. Und Tschorkan
schwärmte, sang, weinte, antwortete ernsthaft und ausführlich auf alle Fragen
und beklagte sein Geschick, das ihn so unansehnlich und arm geschaffen habe.
»Sag mal, Tschorkan, wieviel Jahre
bist du eigentlich jünger als Hadschi Omer?« beginnt einer der müßigen Herren
das Gespräch.
»Was weiß ich! Und was hilft es mir,
daß ich jünger bin?« antwortet Tschorkan bitter.
»Ja, wenn es nach dem Herzen und
nach der Jugend ginge, dann besäße Hadschi Omer nicht, was er besitzt, und
unser Tschorkan säße nicht, wo er sitzt«, warf einer in das Gespräch ein.
Tschorkan aber braucht nicht viel,
um gerührt und weich zu werden. Sie füllen ihm einen Rum nach dem andern ein
und versichern ihm, daß er nicht nur jünger und schöner und »dem Herzen« der
Paascha weit näher sei, sondern daß er auch letzten Endes gar nicht so arm
sei, wie er meine und wie er aussehe. Diese müßigen Kaufleute haben in den
langen Nächten beim Raki eine ganze Geschichte erdacht: daß sein Vater, der
unbekannte türkische Offizier, den er niemals gesehen, irgendwo in Anatolien
seinem außerehelichen Sohn in Wischegrad als einzigem Erben große Besitzungen
hinterlassen habe, daß aber einige dortige Verwandte den Vollzug dieses
Testaments verhindert hätten; daß Tschorkan jetzt nur irgendwo in der fernen
und reichen Stadt Brussa aufzutauchen, die Ränke und den Betrug dieser
falschen Erben zu zerschlagen und sich nur zu nehmen brauche, was ihm gehöre.
Dann könnte er den ganzen Hadschi Omer und dessen angeblichen Reichtum
aufkaufen.
Tschorkan hört ihnen zu, trinkt und
seufzt nur. Ihn schmerzt dies alles, aber es tut ihm auch wohl, sich so als ein
Mensch zu fühlen und zu benehmen, den sie hier in der Stadt wie dort irgendwo
in einem fremden, schönen Lande, aus dem sein unbekannter Vater stammt,
betrogen und bestohlen haben. Aber die Spötter um ihn tun so, als bereiteten
sie seine Reise nach Brussa vor. Die Scherze sind lang, grausam und bis in alle
Einzelheiten ausgedacht. Eines Nachts bringen sie einen vorgeblichen Reisepaß,
führen Tschorkan in die Mitte des Wirtshaussaales, drehen ihn nach allen Seiten
um und tragen seine Personalbeschreibung unter wüsten Scherzen und brüllendem
Gelächter in den Paß ein. Ein anderes Mal errechnen sie, wieviel Geld er für
die Reise nach Brussa brauche, wie er reisen und wo er übernachten werde. Und
mit diesen Späßen vergeht ihnen wiederum ein gut Teil der langen Nacht.
Solange er nüchtern ist, verteidigt
sich Tschorkan, er glaubt und glaubt auch wieder nicht, was sie ihm erzählen;
und doch ist sein Unglaube stärker als sein Glaube. Genaugenommen glaubt er
nichts, solange er nüchtern ist, ist er aber betrunken, verhält er sich, als
glaube er doch. Denn wenn ihn der Alkohol fortreißt, dann fragt er nicht mehr,
was Wahrheit, was Scherz oder was Lüge ist. Schon nach dem zweiten Fläschchen
Rum spürt er in der Tat den duftenden Wind von dort, aus dem fernen,
unerreichbaren Brussa, und sieht, sieht wirklich dessen grüne Gärten und
weiße Bauten. Es ist wahr, daß er seit seiner Geburt in allem, in der Familie,
im Besitz, in der Liebe, betrogen und unglücklich ist und daß ihm so vieles,
vieles Unrecht angetan wurde, daß Gott und die Menschen seine Schuldner sind.
Gewiß ist, daß er nicht das ist, wonach er aussieht und wofür ihn die Leute
halten. Und mit jedem Glase quält ihn das Bedürfnis mehr, dies allen um sich
herum zu sagen, obgleich er selbst fühlt, wie schwer es ist, eine Wahrheit zu
beweisen, die in ihm klar und augenfällig ist, gegen die aber alles spricht,
was um ihn herum und an ihm ist. Dennoch erklärt er das schon nach dem ersten
Gläschen Rum jedem, die ganze Nacht hindurch mit abgebrochenen Worten,
grotesken Bewegungen und Tränen des
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