Ivo Andric
Vernunft
annimmt. Das schwöre ich dir bei meinem Leben und Glauben, und das ist kein
leichter Eid. Heute ist Donnerstag, du hast noch Zeit bis zum Sonntag. Und
jetzt scher dich zum Teufel, der dich zu mir geschickt hat. Marsch! Raus!«
Auch ohne Eid hätte Plewljak
Abidagas Drohung geglaubt, denn schon im Traum zitterte er vor dessen Blick und
Stimme. Jetzt machte er sich in einem jener krampfhaften, panischen
Angstanfälle voller Verzweiflung sofort an die Arbeit. Er versammelte alle
seine Leute und, unvermittelt aus tödlicher Starre in eine irre Wut verfallend,
begann er sie zu beschimpfen:
»Ihr Rotzlöffel, habt ihr denn keine
Augen im Kopf!« schrie Plewljak, als spieße man ihn lebend auf den Pfahl, und
starrte jedem einzelnen der Sejmen dabei ins Gesicht. »Hält man etwa so Wache
und hütet des Sultans Eigentum? Wenn es zum Kochtopf geht, dann seid ihr alle
schnell und beweglich, aber wenn es heißt, sich im Dienst zu mühen, dann sind
eure Füße lahm und der Verstand steht euch still. Und ich muß mich für euch
schämen! Aber bei mir gibt es kein Faulenzen mehr. Ich sage euch, ich mache aus
diesem Baugerüst eine Schlachtbank für alle Sejmen! Kein einziger von euch
behält seinen Kopf, wenn innerhalb von zwei Tagen dieses Wunder nicht aufhört
und ihr die Lumpen nicht faßt und erschlagt. Zwei Tage habt ihr noch zu leben,
das schwöre ich euch bei meinem Glauben und beim Koran.«
So schrie er noch lange. Und da er
schließlich nicht mehr wußte, was er ihnen noch sagen und womit er sie noch
bedrohen sollte, spuckte er sie der Reihe nach an. Aber als er sich ausgetobt
und vom Druck der Angst befreit hatte, die als Wut von ihm abfiel, ging er
sofort mit der Kraft der Verzweiflung an die Arbeit. Die Nacht verbrachte er,
das Ufer mit den Sejmen durchstreifend. Einmal schien es ihnen, als hörten sie,
wie irgend etwas an jenem Teil des Gerüstes klopfte, der sich am weitesten in
den Fluß vorschob, und sie liefen dorthin. Sie hörten noch, wie sich ein Brett
löste, ein Stein herausbröckelte und ins Wasser fiel; als sie aber an die
Stelle kamen, fanden sie tatsächlich das Gerüst zerbrochen und die Mauer
zerstört, aber vom Täter keine Spur. In dieser gespenstischen Leere zitterten
die Sejmen vor nächtlicher Kälte und abergläubischer Furcht. Sie riefen einander
zu, starrten in die Dunkelheit und schwenkten rasch entzündete Kienspäne, aber
alles war vergebens. Wiederum war Schaden angerichtet, aber die Täter waren
weder gefaßt noch erschlagen, gerade so, als seien sie wirklich unsichtbare
Wesen.
In der kommenden Nacht bereitete
Plewljak die Belagerung besser vor. Einige Leute ließ er auf das andere Ufer
übersetzen. Als die Dunkelheit anbrach, verstärkte er überall bis zum äußersten
Ende des Gerüstes seine Sejmen und setzte sich selbst mit zweien seiner Leute
in einen Kahn, den er in der Dunkelheit unbemerkt bis zum linken Ufer brachte.
Von dort konnten sie mit ein paar Ruderschlägen bei einem der beiden
angefangenen Pfeiler sein. So konnten sie den Schädling von zwei Seiten fassen,
daß es kein Entrinnen gäbe, wenn er nicht gerade geflügelt oder unter Wasser zu
leben gewohnt war.
Die ganze lange und kalte Nacht lag
Plewljak im Kahn, versteckt unter Schafsfellen und gequält von den
schwärzesten Gedanken, die er unaufhörlich in seinem Kopfe wälzte: würde
Abidaga wirklich seine Drohung wahrmachen und ihm das Leben nehmen, das unter
einem solchen Vorgesetzten auch so kein Leben sondern Qual und Furcht war? Aber
auf dem ganzen Bau hörte man auch nicht das geringste Geräusch außer dem eintönigen
Plätschern und Murmeln des unsichtbaren Wassers. So kam die Morgendämmerung
heran, und Plewljak fühlte in seinem erstarrten Körper, wie auch sein Leben
hinabdämmerte und sich verkürzte.
In der nächsten, dritten und letzten
Nacht das gleiche Wachen, die gleiche Verteilung, das gleiche angstvolle
Lauschen. Mitternacht ging vorüber. Plewljak erfaßte ein tödlicher Gleichmut.
Da hörte man ein leichtes Plätschern und dann, stärker, einen dumpfen Stoß an
den in den Fluß gerammten, eichenen Pfosten, auf denen das Gerüst ruhte. Von
dort ertönte ein scharfer Pfiff. Aber Plewljaks Kahn war schon abgestoßen.
Aufrecht stehend, starrte er in die Dunkelheit, schwenkte die Arme und rief mit
unterdrückter Stimme:
»Rudert, rudert, los doch!«
Die schlaftrunkenen Männer ruderten
scharf, aber die starke Strömung erfaßte sie trotzdem etwas früher, als sie es
sollte. Statt am Gerüst
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