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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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Schäden an den abgedeichten Stellen, ja auch an den
Maurerarbeiten zu zeigen. Das Werkzeug, das die Maurer bis jetzt auf den
begonnenen, am weitesten entfernten Pfeilern liegen gelassen hatten, begann zu
fehlen und zu verschwinden, die Erdarbeiten wurden durchstochen und zerstört.
    Das Gerücht, es würde keine Brücke
gebaut werden können, ging weit in das Land, Türken verbreiteten es und
Christen, und immer mehr wurde es zu einem festen Glauben. Die christlichen
Rajas triumphierten, nur geflüstert, ganz unhörbar und schadenfroh, aber aus
vollem Herzen. Und die einheimischen Türken, die früher voll Stolz auf den Bau
des Wesirs geblickt hatten, begannen verächtlich zu zwinkern und mit der Hand
abzuwinken. Mancher unserer Neutürken, der nach dem Glaubenswechsel nicht das
gefunden, was er erwartet hatte, sondern sich auch weiterhin zu seinem
spärlichen Mahl niedersetzte und mit zerrissenen Kleidern durch das Leben
schritt, hörte und wiederholte mit Genuß die Erzählungen vom großen Mißerfolg
und fand eine bittere Genugtuung darin, daß auch Wesire nicht alles erreichen
und ausführen können, was sie sich gerade vornehmen. Schon sprach man davon,
daß sich die fremden Meister zur Abreise vorbereiteten und daß dort keine
Brücke sein würde, wo nie eine gewesen war, und man sie auch nicht hätte beginnen
sollen. Alles dies verknüpfte sich miteinander und verbreitete sich in der
Welt.
    Leicht erdenkt das Volk Geschichten
und schnell verbreitet es sie, die Wirklichkeit aber verknüpft und vermischt
sich wundersam und untrennbar mit diesen Geschichten. Die Bauern, die des
Nachts dem Guslaren zuhörten, erzählten, die Fee, die den Bau zerstöre, habe
Abidaga wissen lassen, daß sie erst dann mit der Zerstörung aufhören würde,
wenn er in die Grundmauern zwei Kinder, Zwillinge, Bruder und Schwester,
namens Stoja und Ostoja (Halte und Bleibe) einmauere. Und einige schworen, sie
hätten die Sejmen gesehen, wie sie in den Dörfern ein solches Kinderpaar
suchten. (Die Sejmen waren tatsächlich auf die Dörfer gegangen, aber sie hatten
nicht nach Kindern gesucht, sondern auf Abidagas Befehl im Volke herumgehorcht
und gefragt, ob man nicht wüßte, wer die Unbekannten seien, die die Brücke
zerstörten.)
    Zu der Zeit ereignete es sich, daß
in einem Dorfe oberhalb Wischegrads ein armes, taubstummes und geistesschwaches
Mädchen, das in fremdem Hause diente, schwanger wurde, aber sie wollte oder
konnte nicht sagen, von wem. Dies war ein seltenes, unerhörtes Ereignis, daß
ein Mädchen, und noch dazu ein solches, schwanger wurde und daß der Vater
unbekannt blieb. Und das Ereignis sprach sich weit herum. Gerade in diesen
Tagen gebar das Mädchen in einem Schuppen Zwillinge, aber beide waren tot.
Die Frauen halfen ihr bei der Geburt, die ungewöhnlich schwer war, und begruben
die Kinder sofort in einem Pflaumengarten. Aber das Mädchen, dem nicht
beschieden war, Mutter zu sein, stand schon am dritten Tage auf und begann, die
Kinder überall im Dorf zu suchen. Vergeblich erklärten sie ihr, die Kinder
seien tot zur Welt gekommen und beerdigt. Um ihr Herumfragen abzuschütteln,
sagten sie ihr oder machten ihr eher mit Gesten verständlich, ihre Kinder seien
fortgeschafft in die Stadt, dort, wo die Türken die Brücke bauten. Schwach und
verzweifelt, wie sie war, streifte sie weiter bis zur Stadt und begann um das
Gerüst und die Baustelle herumzuschleichen, verängstigt den Menschen in die
Augen zu sehen und mit unverständlichem Brummeln nach den Kindern zu fragen.
Die Leute sahen sie erstaunt an oder verjagten sie, damit sie nicht bei der
Arbeit störe. Als sie sah, daß man nicht verstand, was sie wollte, knöpfte sie
ihr grobes Bauernhemd auf und zeigte ihnen die wehen, milchstrotzenden Brüste,
deren Warzen bereits von der unaufhaltsam herausfließenden Milch aufgesprungen
waren und bluteten. Niemand wußte, wie man ihr helfen und erklären sollte, daß
ihre Kinder nicht in die Brücke eingemauert seien, denn auf alle guten Worte
und alles Zureden brummelte sie nur traurig und durchsuchte mit scharfem,
ungläubigem Blick jeden Winkel. Schließlich hörten sie auf, sie zu vertreiben,
ließen sie auf der Baustelle herumstreifen und gingen ihr mit schmerzvollem Bedauern
aus dem Wege. Die Köche gaben ihr vom Brei der Arbeiter, was sich unten am
Kessel angesetzt hatte. Sie nannten sie die irre Ilinka, und ihnen tat es auch
die ganze Stadt gleich. Sogar Abidaga ging ohne ein Wort an ihr vorüber,

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