Ivo Andric
er so seine Stimme und die Gusla aufeinander abgestimmt,
wirft der Montenegriner mit einem Male ruckartig und stolz den Kopf nach
hinten, daß der Adamsapfel an seinem mageren Halse heraustritt und sein
scharfes Profil im Lichte aufblinkt, stößt einen gedämpften und gedehnten Ton
aus: »Aaahaaaah!« und fährt sofort deutlich und voll klingend fort:
Wein trinkt Stefan, Zar der Serben,
In Prizren, der edlen Stadt,
Neben
ihm die alten Patriarchen:
Vier
sind es der alten Patriarchen,
Ihm zur Seite neun Bischöfe
stehen,
Und noch
zwanzig der hohen Wesire,
Und in
langer Reih der Serben Adel.
Wein
schenkt ein der Kämmerer Mijajlo,
Und die
Schwester Kandosia leuchtet
mit dem
Glanze ihrer Edelsteine...
Die Bauern schließen sich immer enger
um den Guslar, aber ohne das geringste Geräusch; nicht einmal ihren Atem hört
man. Die Augen leuchten ihnen vor Begeisterung und Entrückung. Ein Schauern
überkommt sie, die Rücken richten sich auf, die Brüste dehnen sich, die Augen
glänzen, die Finger an ihren Händen verkrampfen sich, und die Muskeln an ihren
Kiefern spannen sich. Der Montenegriner spinnt und schmückt sein Lied schneller,
schöner und kühner, und die durchnäßten, ausgemergelten Fronarbeiter, ergriffen
und unempfindlich gegen alles übrige, begleiten das Lied wie ihr eigenes,
schöneres und lichteres Schicksal.
Unter den vielen fronenden Bauern
war auch ein gewisser Radisaw aus Unischte, einem kleinen Dorf gleich oberhalb
der Stadt. Ein untersetzter Mann mit dunklem Gesicht und unruhigen Augen, in
der Hüfte stark gebeugt, ging er schnell, die Füße weit auseinandergesetzt und
Kopf und Schultern immer links – rechts, links – rechts schwenkend, als siebte
er Mehl. Er war weder so arm, wie er aussah, noch so einfältig, wie er sich
gab. Sie nannten sich Herak, hatten ein gutes Stück Land, und es war ihrer viel
Mannsvolk im Hause, aber ihr ganzes Dorf war in den letzten vierzig Jahren
türkisch geworden, so daß sie sehr zusammengedrängt und vereinsamt waren. So
klein, geduckt und eilig »siebte« dieser Radisaw in jenen Herbstnächten von
einem Schuppen zum anderen, mischte sich behende unter die Bauern und tuschelte
mit einzelnen. Seine Rede aber war im wesentlichen diese:
»Brüder, es ist nun genug des
Elends, und es ist nötig, daß wir uns verteidigen. Ihr seht ja, wie uns dieser
Bau zugrunde richten und verschlingen wird. Auch unsere Kinder werden an ihm
noch fronen, wenn wir überhaupt noch da sind. Dies geschieht nur, um uns
auszurotten, und zu nichts anderem. Die Armen und die Rajas brauchen keine
Brücke, sondern die Türken: und wir heben kein Heer aus und treiben keinen
Handel, und die Fähre ist für uns mehr als genug. Es haben sich aber einige von
uns besprochen, in der Nacht, wenn es still ist, hinauszugehen und
niederzureißen und zu zerstören, soviel wir können, was da geschaffen und
aufgebaut wurde, und dann das Gerücht zu verbreiten, daß eine Fee den Bau
zerstört und keine Brücke über die Drina will. Wir wollen doch sehen, ob das
nicht etwas hilft. Einen anderen Weg haben wir nicht, und etwas muß geschehen.«
Es fanden sich, wie immer,
Kleinmütige und Ungläubige, die meinten, das sei ein unfruchtbarer Gedanke,
denn die mächtigen und listigen Türken würden sich von ihrem Unterfangen nicht
abbringen lassen, und man müsse auch weiterhin fronen nach Gottes Ratschluß und
nicht aus Schlimmem noch Schlimmeres machen. Aber es fanden sich auch solche,
die meinten, alles sei besser, als auch weiterhin so zu schleppen und zu
warten, bis einem auch der letzte Kleiderfetzen und das letzte Fünkchen Kraft
von der schweren Arbeit und Abidagas kargem Brot abfalle; man müsse mit jedem
gehen, der meine, er finde einen Ausweg. Das waren meist Jugendliche; aber auch
ernste, verheiratete Männer, Hausväter, stimmten zu, ohne Begeisterung und
Heftigkeit, und sprachen besorgt:
»Also, gut, reißen wir es ein, der
Teufel soll es holen, so lange er uns noch nicht geholt hat. Und wenn auch das
nichts hilft ...«
Und mit einer Geste verzweifelter
Entschlossenheit unterstrichen sie ihre Worte.
So verbreitete sich in diesen ersten
Herbsttagen das Gerücht, zunächst unter den Arbeitern und dann auch in der
Stadt, daß sich die Wassernixe in die Arbeit an der Brücke eingemischt hätte,
daß sie über Nacht abreiße und zerstöre, was des Tages gebaut werde, und daß
es aus dem Bau nichts werden könne. Zur gleichen Zeit begannen sich in der Tat
über Nacht unerklärliche
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