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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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anzulegen, trieben sie flußabwärts und konnten sich
der Strömung nicht erwehren. Sie hätte sie weit fortgetragen, wenn sie nicht
unerwartet etwas aufgehalten hätte.
    Hier, mitten in der Strömung, wo es
weder Pfosten noch Gerüste gab, stieß ihr Kahn mit dumpfem Aufschlag an etwas
Hölzernes und Schweres. Das hielt sie auf. Erst jetzt unterschieden sie, daß
die Sejmen oben auf dem Gerüst mit irgend jemand handgemein geworden waren. Die
Sejmen, Neutürken, Söhne aus unseren Landstrichen, schrien oben alle
durcheinander; in der Dunkelheit überkreuzten sich ihre abgebrochenen und unverständlichen
Rufe:
    »Festhalten, nicht loslassen!«
    »Kahriman, hierher!«
    »Ich bin es, ich!«
    Unter diesem Geschrei hörte man, wie
ein schwerer Gegenstand oder ein menschlicher Körper in das Wasser klatschte.
Plewljak war einige Augenblicke lang in völliger Ungewiß heit, wo er
eigentlich steckengeblieben war und was dort vorging, aber, sobald er sich wieder
etwas zurechtfand, begann er, den Kahn mit dem Bootshaken von den Balken
abzustoßen, auf die er aufgelaufen war, und ihn stromaufwärts näher an das
Baugerüst heranzubringen. Nun war er schon bei den eichenen Pfählen und,
dadurch ermutigt, rief er mit lauter Stimme:
    »Einen Kienspan, zündet einen
Kienspan an! Reicht mir den Strick !«
    Zunächst antwortete ihm niemand.
Schließlich, nach vielem Hin- und Widerschreien, bei dem niemand auch nur hinhörte,
noch verstehen konnte, flammten oben, unsicher und zaghaft, schwache Kienspäne
auf. Dieser erste Schein verwirrte die Augen noch mehr und vermischte Menschen
und Dinge mit ihren Schatten und dem roten Widerschein auf dem Wasser zu einem
unruhigen Wirbel. Aber jetzt flammten in noch einigen Händen Kienspäne auf.
Das Licht beruhigte sich, die Menschen begannen sich zurechtzufinden und
einander zu erkennen. Alles entwirrte und erklärte sich schnell.
    Zwischen Plewljaks Kahn und dem
Gerüst lag ein kleines Floß aus drei Balken, nur vorn hatte es ein Ruder, ein
richtiges Floßruder, aber kürzer und schwächer. Das Floß war mit einem Strick
aus Haselruten an einem der eichenen Pfähle festgemacht und hielt sich gegen
das schnelle Wasser, das es überspritzte und mit aller Kraft flußabwärts
zerrte. Die Sejmen auf dem Gerüst halfen ihrem Führer über das Floß und zu
sich auf das Gerüst. Alle waren außer Atem und verstört. Auf den Bohlen lag
ein gefesselter Bauer, ein Christ. Man sah, wie sich seine Brust stark und
schnell hob und seine Augen sich entsetzlich verdrehten, so daß das Weiße der
Augäpfel sichtbar wurde.
    Der älteste der vier Sejmen
berichtete Plewljak aufgeregt, wie sie, an verschiedenen Stellen auf dem Gerüst
versteckt, gewacht hätten. Und als sie ein Ruder hörten, da hätten sie
geglaubt, es wäre der Kahn ihres Vorgesetzten, aber sie wären so klug gewesen,
sich nicht zu melden, sondern zu warten, was nun geschehe. Dann hätten sie
gesehen, wie sich zwei Bauern vorsichtig den Balken näherten und mit vieler
Mühe das Floß festmachten. Sie hatten sie hinaufklettern und bis zu sich herankommen
lassen, dann sie mit ihren Streitäxten angegriffen, niedergeschlagen und
begonnen, sie zu fesseln. Diesen hier, der von den Schlägen auf den Kopf
bewußtlos gewesen sei, hätten sie leichter gebunden, aber der andere, der
zuerst so getan hätte, als wäre er betäubt, der sei ihnen wie ein Fisch
entglitten und durch die Bretter ins Wasser gefallen.
    Hier machten die Sejmen angsterfüllt
eine Pause in ihrer Rede, Plewljak aber begann zu toben:
    »Wer hat ihn losgelassen? Sagt, wer
hat ihn losgelassen, ich werde euch alle in Stücke hauen, alle!«
    Die Burschen schwiegen und
blinzelten mit den Augen im roten unruhigen Licht, und Plewljak drehte sich
um, als suche er jenen im Dunkeln. Dabei belegte er sie wahllos mit Flüchen,
wie er sie am Tage noch nie gegen sie gebraucht. Aber dann riß er sich
zusammen, beugte sich über den gefesselten Bauern wie über einen wertvollen
Schatz und, noch am ganzen Leibe zitternd, zischte er zwischen den Zähnen mit
fast tränenerstickter Stimme hervor:
    »Hütet mir den hier, hütet ihn gut!
Oh, ihr Hurensöhne, wenn ihr mir den laufen laßt, dann rollen eure Köpfe!«
    Die Sejmen setzten sich um den
Bauern in Bewegung, noch zwei eilten vom Ufer über das Gerüst herbei. Plewljak
gab Befehle, er ermahnte sie, ihn besser zu fesseln und fester zu halten. So
trugen sie ihn, wie einen Toten, langsam und vorsichtig bis auf das Ufer.
Plewljak ging hinter ihnen her,

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