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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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wandte
abergläubisch den Kopf zur Seite und befahl, ihr Essen zu geben. So lebte sie
dort neben der Baustelle als stille Irre. Mit ihr blieb auch das Gerede, die
Türken hätten die Kinder in die Brücke eingemauert. Die einen glaubten daran,
die anderen nicht, aber alle wiederholten und verbreiteten es.
    Die Beschädigungen entstanden aber
auch weiterhin, bald mehr, bald weniger, und gleichzeitig mit ihnen
verbreiteten sich immer hartnäckiger die Gerüchte, daß die Feen keine Brücke
über die Drina wollten.
    Abidaga wütete. Es kränkte ihn tief,
daß sich jemand finden sollte, der es wagte, trotz seiner sprichwörtlichen
Strenge, die er als seinen besonderen Stolz pflegte, irgend etwas gegen sein
Werk und seine Absichten zu unternehmen. Es ekelte ihn vor diesem Volk, vor
Mohammedanern wie vor Christen, die langsam und ungeschickt bei der Arbeit
waren, aber schnell bereit zu Hohn und Herabsetzen und so gut spöttische und
zersetzende Worte für alles zu finden wußten, was sie nicht verstanden oder
nicht zu schaffen vermochten. Er stellte Wachen an beiden Ufern des Flusses
aus. Die Schäden an den Erdarbeiten hörten dann auf, aber über dem Wasser wurde
weiter zerstört. Nur in mondhellen Nächten gab es keine Schäden. Dies stärkte
Abidaga, der nicht an Feen glaubte, in seiner Meinung, daß diese Fee nicht
unsichtbar sei und nicht vom Himmel komme. Lange Zeit wollte und konnte er
denen nicht glauben, die ihm sagten, das sei Bauernbosheit, aber jetzt
überzeugte er sich mehr und mehr davon, daß es doch so war. Und das trieb ihn
in noch größere Wut. Aber zur gleichen Zeit wußte er, daß er stillhalten und
seinen Grimm verheimlichen müsse, wenn er dem Schädling beikommen, ihn fassen
und all dem gefährlichen Gerede von den Feen und daß die Arbeiten an der Brücke
eingestellt würden schnell und gründlich ein Ende machen wolle.Er rief den
Obersten der Semen zu sich, einen gewissen Plewljak 6 ,
der in Stambul aufgewachsen war, einen bleichen, kränklichen Menschen.
    Diese beiden Männer stießen sich
triebhaft gegenseitig ab und zogen sich gleichzeitig an und stießen zusammen.
Denn zwischen ihnen wogten und webten ständig unverständliche Haßgefühle,
Abneigung, Furcht und Mißtrauen. Abidaga, der zu niemandem weich noch
freundlich war, zeigte gegen diesen bleichen Neutürken eine unverhüllte
Abneigung. Alles, was er tat oder sprach, reizte Abidaga, ihn zu beschimpfen
und herabzusetzen. Und je mehr sich Plewljak erniedrigte und zuvorkommend und
eifrig zeigte, desto mehr wuchs Abidagas Abneigung. Der Oberste der Sejmen
fürchtete sich vom ersten Tage an abergläubisch vor Abidaga. Diese Furcht
verwandelte sich mit der Zeit in einen schweren Alb, der ihn nicht mehr
verließ. Auf Schritt und Tritt, häufig auch im Traum, grübelte er: was wird
Abidaga dazu sagen? Vergeblich versuchte er sich einzuschmeicheln und es ihm
recht zu machen. Alles, was von ihm ausging, nahmAbidaga mit Unmut auf. Und
dieser unverständliche Haß hemmte und verwirrte Plewljak und machte ihn noch
steifer und linkischer. Er glaubte fest, daß er um Abidaga eines Tages nicht
nur Brot und Stellung, sondern auch den Kopf verlieren würde. Daher lebte er
in ständiger Aufregung und fiel von tödlicher Melancholie in furchtbaren und
grausamen Eifer. Als er jetzt, bleich und steif, vor Abidaga stand, sagte ihm
dieser mit vor Wut unterdrückter Stimme:
    »Höre zu, du Hohlkopf, du weißt
Bescheid mit diesen Schweinesöhnen, du kennst ihre Sprache und ihre Schliche,
und trotz alledem bist du nicht imstande, herauszubekommen, welcher Taugenichts
sich hier unterstanden hat, das Werk des Wesirs zu stören. Aber das kommt
daher, weil du genauso ein Taugenichts bist wie die, nur hat sich ein noch
größerer Taugenichts als du gefunden und dich als Obersten der Sejmen
eingesetzt. Es hat sich aber noch keiner gefunden, der dich nach deinem
Verdienst belohnt. Das werde ich tun, wenn es noch niemand getan hat. Damit du
es weißt, ich werde dich in die Erde einstampfen, daß von dir nicht so viel
Schatten bleibt, wie der kleinste Grashalm wirft. Wenn innerhalb von drei Tagen
nicht jegliches Beschädigen der Arbeiten aufhört, wenn du mir nicht den
herbeischaffst, der ihn anrichtet, und nicht alle diese verrückten Gerüchte
über Feen und über Einstellung der Arbeiten zum Schweigen bringst, dann werde
ich dich auf dem höchsten Gerüst bei lebendigem Leibe auf einen Pfahl spießen,
damit dich alle Welt sieht und an deinem Beispiel Furcht lernt und

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