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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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den Uschitzern besprochen, aber auch die
wissen selbst nicht, was sein wird, noch wohin das alles führen soll. Und der
alte Hadschi Suko, der zweimal zur Kaaba nach Mekka gepilgert ist und schon
über neunzig Jahre zählt, sagt, es wird kein Menschenalter dauern, und die
türkische Grenze wird sogar bis zum Kara Denjiz, bis zum Schwarzen Meer,
fünfzehn Tagereisen von hier, zurückweichen.«
    Die angesehenen Wischegrader Türken
hörten dem Mann aus Weletowo zu. Nach außen schienen sie ruhig, aber in ihrem
Innersten waren sie erschüttert und verwirrt. Unter seinen Worten rückten sie
unwillkürlich von ihren Plätzen fort und hielten sich mit der Hand am
steinernen Sitz fest, als käme von irgendwoher ein mächtiger, aber
unsichtbarer Strom und bewegte die Brücke unter ihnen fort. Sich wieder
fassend, fanden sie Worte, um die Bedeutung dieser Ereignisse zu verringern und
herabzusetzen.
    Sie liebten keine unangenehmen
Nachrichten oder schweren Gedanken noch ernsthafte und besorgte Gespräche auf
der Kapija, aber sie sahen selbst, daß dies auf nichts Gutes hindeute; sie
konnten nicht leugnen, was der Mann aus Weletowo erzählte, und sie wußten
nicht recht, wie sie ihn beruhigen und trösten sollten. Daher konnten sie es
kaum erwarten, daß der Bauer in sein Bergdorf Weletowo zurückging, zusammen mit
den unangenehmen Nachrichten, die er mitgebracht. Damit würde natürlich die
Sorge nicht geringer, aber wenigstens verzöge sie sich von hier. Und als der
Mann gegangen, waren sie froh, daß sie wieder zu ihren Gewohnheiten
zurückkehren und auch weiterhin ruhig auf der Kapija sitzen konnten, ohne
diese Gespräche, die dem Menschen das Leben unangenehm und die Zukunft
furchtbar machten. Sie überließen es lieber der Zeit, die Schwere der
Ereignisse, die sich da hinter den Bergen heranwälzten, zu mildern und zu
erleichtern.
    Auch die Zeit tat das Ihre. Das
Leben verlief äußerlich unverändert. Mehr denn dreißig Jahre waren seit dieser
Unterredung auf der Brücke vergangen. Aber jene Pfähle, die der Mubaschir des
Sultans und der Serdar von Rujan an der Grenze eingesetzt, schlugen Wurzeln,
wuchsen fest und trugen später für die Türken bittere Früchte: Die Türken
mußten auch die letzten Städte in Serbien verlassen. Und an einem Sommertage
kam über die Wischegrader Brücke ein trauriger Zug von Flüchtlingen aus Uschitze.
    Es waren jene heißen Tage mit
angenehmen Dämmerstunden auf der Kapija, an denen die Türken aus der Stadt
beide Terrassen über dem Wasser anfüllten. An solchen Tagen wurden ganze
Körbe Melonen herangeschafft. Die reifen Zucker- und Wassermelonen wurden den
ganzen Tag gekühlt, und am Abend aßen sie die Müßiggänger auf dem Sofa. Zu
zweit wetteten sie, ob die Melone innen weiß oder rot sei. Dann schnitten sie
sie auf, und wer verlor, der zahlte, gemeinsam aber wurde sie im Gespräch und
unter lautem Scherz gegessen.
    Aus den steinernen Terrassen
strahlte noch die Hitze des Tages, aber vom Wasser her meldete sich mit der
Dämmerung schon ein kühler Luftzug. Der Fluß war hellglitzernd in der Mitte,
aber unter den Weiden an den Ufern schattig und dunkelgrün. Alle Gipfel im
Umkreis waren rot vom Sonnenuntergang, die einen glühend und die anderen kaum
merklich. Über ihnen, auf der ganzen südwestlichen Hälfte dieses Amphitheaters,
das sich dem Blick von der Kapija eröffnete, änderten die Sommerwolken unaufhörlich
ihre Farbe. Diese Wolken sind eines der großen Schauspiele, die die Kapija im
Sommer bietet. Sobald es tagt und die Sonne herauskommt, zeigen sie sich hinter
den Bergen als dichte, weiße, silbrige oder graue Massen, phantastische
Landschaften, unregelmäßige und zahlreiche Kuppeln üppiger Bauten. Und wenn sie
einen gewissen Umfang angenommen haben, bleiben sie den ganzen Tag unbeweglich
und schwer über den Gipfeln um die Stadt, die in der Sonne glüht, hängen. Und
die Türken, die an einem solchen Abend auf der Kapija sitzen, haben diese
Wolken ständig als weiße, seidene Sultanszelte vor Augen, die in ihrer
Phantasie Erscheinungen und Schauspiele nebelhafter Feldzüge und Kriege
erwecken und wundersame Bilder unermeßlicher Kräfte und Üppigkeit wiedergeben.
Erst in der Dunkelheit löschen und zerstreuen sich die Sommerwolken um die
Stadt, und am Himmel eröffnen sich neue Zauber aus Sternen und Mondschein.
    Niemals kann man die wunderbaren,
außergewöhnlichen Schönheiten der Kapija besser empfinden als an solchen Sommertagen,
zu dieser Stunde. Man sitzt

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