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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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betrachteten ihn furchtsam.
    Aber wenn es sich um die Arbeit
handelte, dann war Heiruddin geschickt und gewissenhaft bis ins kleinste. Er
liebte es nicht, daß sich irgend jemand in seine Tätigkeit einmischte. Das aber
geschah immer häufiger, je mehr der Aufstand um sich griff. Als die Aufständischen
die Dörfer oberhalb der Stadt anzündeten, überschritt die Verbitterung bei den
Türken jegliches Maß. Nicht nur, daß sie alle Aufständischen und Spione oder
wen sie für solche hielten, festnahmen und dem Wachhabenden auf der Brükke
zuführten, sie wollten sich in ihrer Verbitterung auch in die Vollstreckung der
Strafe einmischen.
    Dort steckte eines Tages auch der
Kopf des Wischegrader Pfarrers, jenes gleichen Popen Mihajlo, der zur Zeit des
»großen Hochwassers« die Kraft gefunden hatte, mit dem Hodscha und dem Rabbiner
zu scherzen. Im allgemeinen Groll gegen die Serben wurde er unschuldig
hingerichtet, und Zigeunerkinder steckten ihm eine Zigarette zwischen die
toten Lippen.
    Das waren Dinge, die Heiruddin scharf
verurteilte und, wann immer er konnte, auch verhinderte.
    Als der dicke Anatolier an einem
bösartigen Geschwür starb, setzte der neue Henker, allerdings weniger
geschickt, die Arbeit fort, und noch ein paar Jahre, ehe nicht der Aufstand in
Serbien nachließ, steckten immer zwei bis drei abgeschlagene Köpfe auf der
Kapija. Die Menschen, die in solchen Zeiten schnell hart werden und abstumpfen,
hatten sich so daran gewöhnt, daß sie gleichmütig und ohne sie zu beachten an
ihnen vorübergingen und nicht einmal sofort bemerkten, daß man aufgehört hatte,
sie hier auszustellen.
    Als sich aber die Verhältnisse in
Serbien und an der Grenze beruhigt hatten, verlor das Blockhaus Sinn und
Bedeutung. Aber obgleich der Übergang über die Brücke schon seit langem frei und
ohne Aufsicht war, schlief auch weiterhin eine Wache darin. In jedem Heer
ändern sich die Dinge langsam, im türkischen Heere aber langsamer denn in jedem
anderen. Und so wäre es auch, Gott weiß wie lange noch geblieben, wäre nicht
eines Nachts durch eine vergessene Kerze ein Brand ausgebrochen. Das Blockhaus
aus kienigen Brettern, noch warm von der Tageshitze, brannte völlig nieder,
das heißt bis zu den Steinplatten auf Brücke und Kapija.
    Die aufgeregten Leute in der Stadt
betrachteten den gewaltigen Brand, der nicht nur die Brücke, sondern auch die
umliegenden Berge feurig beleuchtete und sich im Fluß mit einem unruhigen
roten Widerschein spiegelte. Und als der Morgen graute, zeigte sich die Brücke
in ihrer alten, ursprünglichen Form, befreit von dem hölzernen, plumpen Bau,
der jahrelang ihre Kapija verdeckt hatte. Die weißen Platten zeigten rußige
Brand- puren, aber Regen und Schnee wuschen auch sie bald ab. So blieb vom
Blockhaus und den blutigen Ereignissen, die sich mit ihm verbanden, keine
weitere Spur als einige schwere Erinnerungen, die immer mehr verblaßten und
zugleich mit dieser Generation verschwanden, und ein Eichenbalken, der nicht
verbrannt war, weil er in eine Stufe auf der Kapija eingepreßt war.
    Die Kapija aber wurde wieder für die
Stadt, was sie ihr immer gewesen war. Auf der linken Terrasse, von der Stadt
kommend, zündete der Kaffeeverkäufer wieder sein Kohlenbecken an und ordnete
sein Geschirr. Beschädigt war nur die Wasserleitung, denn jener Drachenkopf,
aus dem das Wasser floß, war geschmolzen. Die Leute begannen wieder, sich auf
dem Sofa aufzuhalten und dort die Zeit im Gespräch, in Geschäften oder in
müßigem Träumen zu verbringen. In den Sommernächten sangen dort die jungen
Burschen in Gruppen oder saßen als Einzelgänger und erstickten ihren
Liebeskummer oder jenen unbestimmten schmerzenden Wunsch nach Reisen in weite
Fernen, nach großen Taten und ungewöhnlichen Erlebnissen, der häufig junge
Menschen aus beschränkter Umgebung quält. Und schon nach einigen zwanzig Jahren
sang und lachte dort eine neue Generation, die sich weder an das plumpe
hölzerne Blockhaus noch an die dumpfen Anrufe der Posten, die nachts die
Reisenden anhielten, noch an Heiruddin oder die ausgestellten Köpfe erinnerte,
die dieser mit geschäftsmäßiger Kunst abgeschlagen hatte. Nur noch die alten
Frauen riefen, wenn sie die Kinder verfolgten, die ihnen Obst stahlen, ihre
lauten und wütenden Verwünschungen:
    »Gebe Gott, daß dir der Heiruddin
den Schopf kämmte! Auf der Kapija hätte dich die Mutter wiedergefunden.«
    Aber die Kinder, die über den Zaun
flüchteten, konnten den wahren Sinn dieser

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