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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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erwiderte der Junge
unterwürfig, als antworte er noch den Türken auf ihre Fragen.
    »Mile, mein Sohn, wir wollen uns küssen.«
Der Greis beugte sein graues Haupt auf Miles Schulter. »Wir wollen uns küssen
und bekreuzigen: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Im
Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.«
    So bekreuzigte er sich und den
Jungen nur mit Worten, denn ihnen waren die Hände gefesselt, und schnell, denn
der Henker näherte sich ihnen bereits.
    Der Henker, einer der Soldaten,
beendete schnell seine Arbeit, und die ersten Vorübergehenden, die von oben zum
Markttag herabkamen und die Brücke überschritten, sahen bereits die beiden
Köpfe auf den neuen, knotigen Pfählen neben dem Blockhaus und, bestreut mit
Kies und festgetreten, den blutigen Fleck, auf dem sie auf der Brücke
abgeschlagen worden waren.
    So begann das Blockhaus zu »arbeiten«.
    Von dem Tage an wurden alle, die man
als Verdächtige oder als Schuldige im Zusammenhang mit dem Aufstand, sei es auf
der Brücke selbst, sei es irgendwo an der Grenze, ergriffen hatte, auf die
Kapija geschafft. Und wer einmal gefesselt zum Verhör unter das Blockhaus
gebracht war, kam selten wieder lebend heraus. Dort wurden ihnen die heißen
oder auch einfach unglücklichen Köpfe abgeschlagen und auf Pfähle gesteckt,
die man um das Blockhaus aufgestellt hatte. Ihre Leichen aber warf man von der
Brücke in die Drina, wenn sich niemand einfand, die enthauptete Leiche
abzukaufen und zu bestatten.
    Der Aufstand dauerte mit kürzeren
oder längeren Pausen Jahre an, und die Zahl derer, die man flußabwärts
schickte, »einen anderen, besseren und vernünftigeren Kopf zu suchen«, ward im
Laufe der Jahre immer größer. Der Zufall wollte es, jener Zufall, der die
Schwachen und Unvorsichtigen vernichtet, daß diesen Reigen zwei einfache
Menschen eröffneten, zwei aus der Schar der Unerfahrenen, Armen und Unschuldigen,
denn diese sind häufig die ersten, die der Schwindel vor dem Wirbel unwiderstehlich
anzieht und verschlingt. So schmückten der junge Mile und der alte Jelisije, im
gleichen Augenblick und an der gleichen Stelle enthauptet, vereinigt wie
Brüder, als erste mit ihren Köpfen das Soldatenblockhaus auf der Kapija, das
von nun an, solange die Aufstände andauerten, solchen Schmuck nicht wieder
ablegte. So gingen diese beiden, die vorher nichts voneinander gehört oder
gesehen hatten, gemeinsam in die Erinnerung ein und blieben in ihr fester und
länger als so viele andere, bedeutsamere Opfer.
    Damit verschwand die Kapija unter
dem blutigen und übel berüchtigten Blockhaus und mit ihr die Zusammenkünfte,
Unterhaltungen, die Lieder und die Mußestunden. Auch die Türken gingen nur
ungern dort vorüber, von den Serben aber überschritt die Brücke nur, wer
unbedingt mußte, dann aber gesenkten Hauptes und eilend.
    Um das hölzerne Blockhaus, dessen
Bretter mit der Zeit grau und dann schwarz wurden, bildete sich schnell jene
Atmosphäre, die in der Regel Gebäude umgibt, in denen ständig Soldaten wohnen.
An den Balken trocknete Soldatenwäsche, aus den Fenstern schütteten sie in die
Drina Schmutz, Spülicht und alle Abfälle, die ganze Unsauberkeit des
Kasernenlebens. Davon blieben am weißen Mittelpfeiler lange, schmutzige
Rinnsale, die man schon von weitem sah.
    Das Amt des Henkers übte für lange
Zeit stets der gleiche Soldat aus. Das war ein dicker, schwarzer Anatolier mit
trüben Augen, Negerlippen und einem fetten, aufgedunsenen, erdfarbenen
Gesicht, das immer so aussah, als lächle es das Lächeln feister, gutmütiger
Menschen. Er nannte sich Heiruddin und wurde schnell in der ganzen Stadt und
weit längs der Grenze bekannt. Seine Arbeit führte er mit Freude und Ehrgeiz aus,
jedenfalls war er darin ungewöhnlich geschickt und schnell. Die Städter sagten
damals von ihm, er habe eine leichtere Hand als Muschan, der Barbier. Alt wie
jung kannte ihn, wenigstens dem Namen nach, sein Name aber rief bei den Leuten
zugleich Frösteln und Neugierde hervor. Bei sonnigem Wetter saß oder lag er den
ganzen Tag auf der Brücke im Kühlen unter dem hölzernen Blockhaus. Von Zeit zu
Zeit pflegte er die auf den Pfählen ausgestellten Köpfe abzugehen, wie ein
Melonengärtner seine Melonen, um sich dann wieder auf seine Bank zu legen,
gähnend und sich streckend, schwer, triefäugig und gutmütig, wie ein alter,
zotteliger Schäferhund. Am Ende der Brücke, hinter der Mauer aber versammelten
sich neugierige Kinder und

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