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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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gemessenen Gesten zu halten, die
alles erläutern, aber die schönen Hände fielen ihm von selbst in den Schoß,
und seine Worte verwirrten sich und rissen ab. Er wunderte sich selbst, wohin
sich seine gewohnte Würde verloren, und bemühte sich unaufhörlich vergebens,
sie zu suchen, wie etwas, an das er seit langem gewöhnt und das er gerade
jetzt, da er es am nötigsten brauchte, irgendwo verlegt hatte.
    Mullah Ibrahim war etwas bleicher
als gewöhnlich, aber sonst ruhig und gefaßt. Er und Pope Nikola blickten sich
von Zeit zu Zeit an, als verständigten sie sich mit den Augen. Schon seit ihrer
Jugend waren sie gute Bekannte und Freunde, soweit man zu den damaligen Zeiten
von Freundschaft zwischen Mohammedanern und Christen sprechen konnte. Als Pope
Nikola in seinen jungen Jahren seine »Händel« mit den Wischegrader Türken
hatte und sich verbergen und flüchten mußte, hatte ihm Mullah Ibrahim, dessen
Vater in der Stadt sehr mächtig war, irgendeinen Dienst erwiesen. Später, als
ruhigere Zeiten für die Stadt herangekommen, die Beziehungen zwischen beiden
Religionen erträglich geworden und sie beide in die reiferen Jahre gekommen
waren, freundeten sie sich an und nannten einander im Scherz »Nachbar«, denn
ihre Häuser lagen an den beiden entgegengesetzten Enden der Stadt. Bei
Trockenheit, Seuchen und anderen Nöten, die hereinbrachen, standen sie, ein
jeder unter seinem Volke, auf dem gleichen Posten. Auch sonst, wenn sie sich
auf dem Mejdan oder dem Okolischte trafen, grüßten sie sich und fragten
einander nach dem Befinden, wie sich nirgendwo Pope und Hodscha begrüßten und
miteinander sprachen.
    »Alles, was da unten kreucht und
fleucht und mit menschlicher Stimme spricht, das tragen wir beide, du und ich,
auf unserer Seele.«
    »Bei Gott, so ist es, Nachbar«,
stotterte Mullah Ibrahim, »das tragen wir wirklich.«
    (Die Städter aber, die in allem
einen Anlaß zum Lachen finden, sagen von Menschen, die in Freundschaft leben:
»Sie stehen zueinander wie Pope und Hodscha.« Und das ist ihnen schon zum
Sprichwort geworden.)
    Auch jetzt verstanden sich die
beiden gut, obgleich sie kein Wort gesprochen hatten. Pope Nikola wußte, wie
schwer es Mullah Ibrahim zumute war, und Mullah Ibrahim wußte, daß es auch dem
Popen nicht leicht war. Und sie blickten einander an, wie so viele Male im
Leben und bei so vielen verschiedenen Anlässen: wie zwei Männer, die für alle
Menschenseelen in der Stadt die Verantwortung tragen, der eine für die, die
sich bekreuzigen, der andere für die, die sich verneigen.
    Da hörte man ein Trappeln. Heran
eilte ein Polizist auf einem kleinen Klepper. Außer Atem und verängstigt schrie
er schon von weitem wie ein Ausrufer:
    »Da kommt der Herr, da kommt er auf
dem weißen Pferd!« Nun erschien auch plötzlich der immer ruhige, immer gleichmäßig
liebenswürdige und schweigsame Mulasim.
    Vom Okolischte herab wirbelte Staub
auf.
    Diese Männer, geboren und
aufgewachsen in diesem abgelegenen Winkel der Türkei, und zwar der
heruntergekommenen Türkei des neunzehnten Jahrhunderts, hatten,
natürlicherweise, niemals Gelegenheit gehabt, die richtige, starke und gut organisierte
Armee einer Großmacht zu sehen. Alles, was sie bis jetzt hatten sehen können,
das waren unvollständige, schlecht gekleidete und unregelmäßig bezahlte
Einheiten türkischer Soldaten oder, was noch schlimmer, die gewaltsam
aufgebotene bosnische Landwehr ohne Disziplin und Begeisterung. Jetzt zeigte
sich ihnen zum ersten Male die wirkliche »Macht und Ordnung« eines
Kaiserreiches, siegreich, glänzend und selbstbewußt. Ein solches Heer mußte
ihre Augen blenden und ihnen das Wort in der Kehle stocken lassen. Schon auf
den ersten Blick sah man, an der Ausrüstung der Pferde und an jedem Knopf der
Soldaten, hinter diesen paradierenden Husaren und Jägern den tiefen und starken
Hintergrund, die Macht, Ordnung und den Wohlstand einer anderen Welt. Die
Überraschung war groß und der Eindruck tief.
    Voran ritten zwei Trompeter auf
feisten Apfelschimmeln, dann kam ein Fähnlein Husaren auf Rappen. Die Pferde
waren alle gestriegelt und tänzelten wie Mädchen, leicht und gehalten. Die
Husaren mit ihren roten, schirmlosen Kappen und gelben Schnüren über der
Brust, alle sonnenverbrannte junge Männer mit aufgezwirbelten Schnurrbärtchen,
sahen frisch und ausgeschlafen aus, als kämen sie eben aus der Kaserne. Hinter
ihnen ritt eine Gruppe von sechs Offizieren mit dem Obersten an der Spitze. Auf
ihm ruhten alle

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