Ivo Andric
Wischegrader Muderis, Hussein
Effendi, war ein kleinerer und fülliger Mann, noch jung an Jahren, schön
gekleidet und wohl gepflegt. Ein schwarzer, kurzer Bart, sorgfältig zu einem
regelmäßigen Oval um das weiß und rötliche Gesicht gestutzt, mit runden
schwarzen Augen. Von guter Schulbildung, wußte er genug, galt als ein Mann, der
viel weiß, und war selbst der Meinung, er wisse noch mehr. Er sprach gern und
liebte es, daß man ihm zuhörte. Er war überzeugt, daß er gut spreche, und das
veranlaßte ihn, viel zu sprechen. Er drückte sich vorsichtig und salbungsvoll
aus, sprach mit maßvollen Bewegungen, die Hände leicht gehoben, beide in
gleicher Höhe, weiße, gepflegte Hände, mit rosafarbenen Nägeln, beschattet von
dichten, kurzen und schwarzen Härchen. Und beim Sprechen bewegte er sich, als
stehe er vor dem Spiegel. Er besaß die größte Bibliothek in der Stadt, eine
eisenbeschlagene und gut verschlossene Kiste voller Bücher, die ihm sein
Lehrer, der berühmte arabische Hodscha, bei seinem Tode hinterlassen und die er
nicht nur sorgfältig vor Staub und Motten hütete, sondern in der er auch nur
selten und sparsam las. Aber daß er so viele teure Bücher besaß, hob schon seinen
Wert in den eigenen Augen und verschaffte ihm ein Ansehen bei den Menschen,
die nicht wußten, was ein Buch ist. Man wußte, daß er eine Chronik der wichtigsten
Ereignisse in der Stadt schrieb. Und dies brachte ihm bei den Bürgern das
Ansehen eines gelehrten und außergewöhnlichen Menschen, denn man meinte, daß
er damit den guten Ruf der Stadt und eines jeden einzelnen in seiner Hand habe.
In Wirklichkeit war diese Chronik weder umfangreich noch gefährlich. In den
fünf, sechs Jahren, seit sie der Muderis führte, füllte sie ganze vier Seiten
eines kleinen Heftes. Denn die meisten Stadtereignisse befand der Muderis nicht
für wichtig oder würdig genug, in seine Chronik einzugehen. Daher war sie so
unfruchtbar, trocken und steif wie eine hochmütige alte Jungfer.
Der vierte der »Würdenträger« war
David Levy, der Wischegrader Rabbiner, ein Enkel jenes bekannten alten Rabbi
Hadschi Liatscho, der ihm seinen Namen, seine Stellung und seinen Besitz, aber
nichts von seinem Geist und seiner Heiterkeit als Erbe hinterlassen hatte.
Er war ein junger, schmächtiger und
bleicher Mann mit dunklen, samtenen, traurig blickenden Augen. Er war
unaussprechlich schüchtern und schweigsam. Er war erst einige Zeit Rabbiner
und hatte kürzlich geheiratet. Um gewichtiger und stärker auszusehen, trug er
weite und reiche Kleider aus schwerem Stoff, sein Gesicht war von Bart und
Schnurrbart verdeckt, aber unter diesen Kleidern ahnte man den schwachen,
leicht frierenden Körper, und durch den dünnen schwarzen Bart sah man das
kränkliche Oval seines Knabengesichtes. Es war ihm eine furchtbare Qual, wenn
er irgendwo unter die Leute gehen und sich an Gesprächen und Entscheidungen
beteiligen mußte, da er sich ständig als klein, schwach und den Aufgaben nicht
gewachsen empfand.
Nun saßen sie alle vier schwitzend
in ihren Sonntagskleidern in der Sonne, aufgeregter und sorgenvoller, als sie
es zeigen wollten.
»Rauchen wir noch eine; Zeit haben
wir ja, hol's der Teufel, der kann ja auch nicht wie ein Vogel auf die Brücke
geflogen kommen«, sprach Pope Nikola als ein Mann, der es seit langem gelernt,
Sorge und wahre Gedanken, seine eigenen wie die fremden, unter einem Scherz zu
verbergen.
Alle blickten zum Okolischte, und
dann griffen sie zum Tabak.
Das Gespräch tropfte langsam und
vorsichtig und drehte sich ständig um den Empfang des Kommandanten. Alles lief
darauf hinaus, daß Pope Nikola derjenige sei, der ihn begrüßen und willkommen
heißen müsse. Mit zusammengekniffenen Lidern und gefurchten Augenbrauen, so
daß seine Augen jene dunkle Schneide bildeten, aus der wie ein Lächeln goldene
Funken hervorschossen, betrachtete Pope Nikola sie alle drei lange, schweigend
und aufmerksam.
Der junge Rabbi verging vor Furcht.
Er besaß nicht die Kraft, den Rauch von sich fortzublasen, sondern dieser wand
sich noch lange durch seinen Bart. Der Muderis war nicht weniger verängstigt.
Seine ganze Beredsamkeit und Würde eines gelehrten Mannes hatten ihn heute
morgen plötzlich verlassen. Er war sich auch nicht im entferntesten bewußt, wie
verstört und bis zu welchem Grade verschüchtert er aussah, denn die hohe Meinung,
die er von sich hatte, erlaubte ihm nicht, sich so etwas vorzustellen. Er
versuchte, eine seiner gelehrten Reden mit
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