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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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Blicke. Sein Pferd war höher als die anderen, bläßfüßig, mit
ungewöhnlich langem und gebogenem Hals. Hinter den Offizieren folgte ein
Kompanie Infanterie, Jäger, in grünen Uniformen, mit Federn auf dem
Ledertschako und weißem Lederzeug auf der Brust. Sie schlossen das Blickfeld
ab und sahen aus wie ein wandernder Wald.
    Trompeter und Husaren ritten bis zu
den Würdenträgern und dem Mulasim, machten auf dem Platz halt und stellten sich
zu beiden Seiten auf.
    Die bleichen und aufgeregten Männer
auf der Kapija standen mitten auf der Brücke, das Gesicht den herankommenden
Offizieren zugewendet. Einer der jüngeren Offiziere ritt an den Obersten heran
und sagte ihm etwas. Alle verlangsamten die Gangart. Einige Schritte vor den
»Würdenträgern« hielt der Oberst plötzlich und sprang vom Pferde. Das gleiche
taten die Offiziere hinter ihm, wie auf ein Zeichen. Soldaten liefen hinzu,
übernahmen die Pferde und führten sie einige Schritte zurück.
    Sobald er mit den Füßen die Erde
berührt hatte, verwandelte sich der Oberst. Er war klein und unansehnlich,
übermüdet, ein unangenehmer und gefährlicher Mann. Gerade, als habe er als
einziger von ihnen und für sie alle Krieg geführt.
    Erst jetzt sah man, wie einfach
gekleidet, verwahrlost und ungepflegt er im Gegensatz zu seinen frischen und
straffen Offizieren aussah. Das Bild eines Menschen, der sich unbarmherzig
verbraucht; der sich selbst verzehrt. Das Gesicht von der Sonne verbrannt,
bärtig, die Augen trübe und unruhig und die hohe Mütze etwas schräg aufgesetzt,
die Uniform zerknittert und zu weit für den mageren Körper. An den Füßen
Reitstiefel mit niedrigen, weichen Schäften ohne Glanz. Breitbeinig gehend und
mit der Reitpeitsche spielend, kam er näher. Einer der Offiziere meldete ihm
und zeigte auf die versammelten Männer vor ihm. Der Oberst betrachtete sie kurz
mit dem scharfen, wütenden Blick eines Menschen, der ständig vor schweren
Aufgaben und großen Gefahren steht. Man konnte sofort erkennen, daß er auch
gar nicht anders blicken konnte.
    In diesem Augenblick begann Pope
Nikola mit ruhiger, tiefer Stimme zu sprechen. Der Oberst hob den Kopf und ließ
seinen Blick auf dem Gesicht des stattlichen Mannes im schwarzen Gewand ruhen.
Dieses breite, ruhige Antlitz eines biblischen Patriarchen fesselte für einen
Augenblick seine Aufmerksamkeit. Man konnte überhören, was dieser Greis sprach,
oder ihn nicht verstehen, aber sein Gesicht konnte man nicht unbeachtet lassen.
Pope Nikola sprach fließend und natürlich, mehr zu dem jungen Offizier
gewendet, der seine Worte übersetzen sollte, als zu dem Obersten selbst. Im
Namen der anwesenden Geistlichen aller Konfessionen versicherte er dem
Obersten, sie seien, gemeinsam mit dem Volke, bereit, sich der neuen Macht zu
beugen, und sie würden alles tun, was in ihren Kräften stünde, um die Ruhe und
Ordnung zu wahren, die die neue Obrigkeit fordere. Sie bäten aber, daß das
Heer sie und ihre Familie schütze und ihnen ein friedliches Leben und ehrliche
Arbeit ermögliche.
    Pope Nikola sprach kurz und kam
schnell zu Ende. Der flinke Oberst hatte keine Gelegenheit, die Geduld zu
verlieren. Dafür aber wartete er nicht, bis der junge Offizier seine
Übersetzung beendete. Mit der Peitsche abwinkend, unterbrach er ihn mit
scharfer und abgehackter Stimme:
    »Schon gut! Schutz werden alle
genießen, die sich gut führen. Aber Ruhe und Ordnung müssen die überall halten.
Anders geht es nicht, ob sie wollen oder nicht.«
    Und mit dem Kopfe nickend, wandte er
sich ohne Gruß und Blick. Die Geistlichen wichen auf die Seite aus. An ihnen
vorüber zogen der Oberst, nach ihm die Offiziere, dann die Pferdeburschen.
Niemand kümmerte sich um die »Würdenträger«, die allein auf der Kapija
zurückblieben.
    Alle waren enttäuscht. Denn heute
morgen und in der vergangenen Nacht, in der niemand von ihnen viel geschlafen,
hatten sie sich hundertmal gefragt, wie wohl dieser Augenblick aussehen
würde, da sie auf der Kapija den Kommandanten der Kaiserlichen Armee
empfingen. Alles mögliche hatten sie sich vorgestellt, ein jeder nach seinem
Geist und seiner Natur, und sie waren auf das Schlimmste gefaßt gewesen. Der
eine hatte sich schon gesehen, wie sie ihn geradewegs in die Verbannung, in das
ferne Österreich, abführten, daß er sein Haus und seine Stadt nie wieder sehen
würde. Ein anderer hatte sich der Erzählungen über Heiruddin erinnert, der
einst auf dieser gleichen Kapija die Köpfe abschlug. Auf alle

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