Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)
in den Raum hineinging, kamen viele der Ehemaligen auf sie zu. Alle Old Boys, die sie von ihrem ersten Treffen her kannte – der Mann, der das Buch verkehrt herum gehalten hatte, die korpulente Frau mit dem Gehstock aus Elfenbein, die Frau mit der eleganten Haltung – hießen sie willkommen. Andere stellten sich ihr vor und schüttelten ihr die Hand. Nie zuvor hatten Lily so viele Erwachsene Beachtung geschenkt. Ein Teil von ihr wollte einfach nur weglaufen.
Sie entdeckte die Tabletts mit Plunderteilchen. Jemand bot ihr eine gegrillte Garnele an. Grandpa nahm sich einen Drink. Er stieß mit einem neben ihnen stehenden Mitglied an und begann ein Gespräch. Bald stand Lily ganz allein in einem Kreis von Ehemaligen, die ihr immer näher auf die Pelle rückten. Nervös trat sie von einem Bein aufs andere, während die Alumni sie mit einer Faszination betrachteten, die mehr als nur ein klein wenig alarmierend war. Lily nahm sich eins von den Plunderstücken und schob es in den Mund. Eine gute Entschuldigung, nichts zu sagen. Sie hatte nämlich nicht die geringste Vorstellung davon, wie man mit diesen Leuten ein Gespräch anfing. Außerdem hatte sie seit ihrer kleinen Pinkelpause heute Morgen auf der Autobahn nichts mehr gegessen. Sie angelte sich ein zweites Stück.
»Hast du irgendwelche Anzeichen für militärische Aktivitäten bemerkt?«, fragte ein Mann.
Fast wäre ihr das Plunderstück im Hals stecken geblieben. Sie schluckte. »Wie bitte?«
Er trug eine orangefarbene Krawatte und hatte Augenbrauen wie Fellraupen. »Irgendwelche größeren Ansammlungen von Personen? Gebäude, bei denen es sich um militärische Ausbildungslager handeln könnte?«
Schlagartig verging Lily der Appetit. »Es war ein Universitätscampus«, sagte sie, »und dem echten Princeton sehr ähnlich. Aber die Studenten dort hatten mehr Fell, Federn und Fangzähne.«
»Und was haben diese ›Studenten‹ studiert?«, wollte eine Frau wissen. Sie sprach mit japanischem Akzent und war noch sehr jung, hatte mit Sicherheit gerade erst ihren Abschluss gemacht. Während sie auf die Antwort wartete, betrachtete sie Lily sehr aufmerksam, als wolle sie jeden einzelnen ihrer Atemzüge katalogisieren.
»Natürlich vertrauen wir den Professoren«, warf der Mann ein, der das Buch verkehrt herum gehalten hatte. »Aber die meisten von ihnen waren seit einem Jahrhundert nicht mehr in ihrer Heimatwelt.«
Eine von den affektierten Frauen flötete dazwischen. »Genau deshalb sollten wir diese Gelegenheit ergreifen und ein Gipfeltreffen einberufen! Jetzt, da wir einen Schlüssel haben, dem wir vertrauen können, sollten wir unsere Beziehungen erneuern. Wir werden wieder ungehindert Gesandte schicken können, vielleicht sogar unsere wissenschaftlichen Expeditionen wieder aufnehmen. Wir könnten unseren Isolationismus beenden!«
Der Mann mit der orangen Krawatte beachtete sie jedoch gar nicht, sondern fuhr stattdessen fort: »Truppenstärke, Bewaffnung, Erkenntnisse über Strategien oder Kampfmethoden? Irgendetwas musst du doch beobachtet haben.«
Die affektierte Frau unterbrach ihn. »Das ist genau die Einstellung, die … «
»Wir müssen unbedingt wissen … «, begann der Mann wieder.
»Du brauchst ein paar Lektionen in Diplomatie«, fuhr ihn die Frau an. »Wenn du dich vielleicht in deiner testosteronbeladenen Fremdenfeindlichkeit etwas zurücknehmen könntest.«
»Ich bin Realist , kein Fremdenfeind!«
Der Streit eskalierte, und die umstehenden Old Boys kamen neugierig näher. Lily wünschte, sie könnte sich gegen eine Wand lehnen und einfach darin verschwinden. Hilfe suchend blickte sie hinüber zu ihrem Großvater, doch der war völlig vertieft in sein eigenes Gespräch.
»Welche Art von Informationen hat der Rat dir abgepresst?«, fragte ein Mann in gestreifter Clubjacke. »Und wie viele hast du ihnen freiwillig gegeben?«
»Gar keine«, verteidigte sich Lily. »Sie haben mir aufgetragen, die ›Ritter‹ von Princeton daran zu erinnern, dass sie Feedern gegenüber keinerlei Nachsicht üben. Und dass sie Ihre Verbündeten sind.«
»Na bitte«, sagte die affektierte Frau. »Es ist wirklich an der Zeit, die Beziehungen zu normalisieren! Die Verträge zu erneuern! Unsere Allianz zu bekräftigen!«
»Pure Propaganda«, warf der Mann mit der orangefarbenen Krawatte ein. »Das bringt doch alles nichts. Und sie bringt auch nichts!« Er deutete auf Lily.
Endlich eilte Großvater zu ihrer Rettung herbei. Er legte beide Hände auf Lilys Schultern.
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