Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)
Beispiel sagen. Du kommst aus einer Parallelwelt. Oh, und weißt du was? Die Monster aus deinen Albträumen – es gibt sie wirklich. Mom würde sie zwingen, ihre Medizin zu nehmen, wenn sie auch nur ein Wort davon verlauten ließ. Also fragte sie stattdessen: »Hat Mr Mayfair noch etwas gesagt, als er anrief?«
»Und ob.«
Lily spürte, wie ihr Herz einen Moment lang aussetzte. »Was denn?«
Mom schlang ihre Arme um Lily. »Ich bin ja so stolz auf dich! Ich könnte platzen vor Stolz! Princeton-Girl! Es tut mir leid, dass ich dich so unter Druck gesetzt habe. Ich wusste, du würdest es schaffen. Du schaffst immer alles.«
Ach so. Das. »Es ist noch nicht offiziell«, beschwichtigte Lily. »Es zählt gar nichts, bis ich die schriftliche Bestätigung in der Hand habe. Außerdem: Ich kann mich immer noch an Unis bewerben, die näher an Philadelphia sind.«
»Aber auf gar keinen Fall!« Mom packte Lily bei den Schultern. »Jetzt hör mir mal gut zu. Ich werde nicht zulassen, dass du deine Zukunft opferst, um für mich zu sorgen. Dieser Ort hier war immer dein Traum!«
Nun, dieser Traum hütete auch ein paar gut verborgene Albträume. Aber Mom hatte recht. Wenn die Old Boys ihre Meinung nicht noch einmal änderten, dann war sie schon bald Studentin in Princeton. Das hatte sie sich ihr ganzes Leben lang gewünscht. Sie sollte wirklich froh und glücklich darüber sein.
Mom überreichte ihr eine mit einem Reißverschluss versehene Plastiktüte, bis oben hin vollgestopft mit Toilettenartikeln und Kosmetik. »Wir werden dir eine von diesen schicken Kosmetiktaschen kaufen. Und Flip-Flops. College-Girls duschen mit Flip-Flops. Ich bin mir nicht ganz sicher, warum.«
»Erinnerst du dich noch, wie wir beide uns mal geweigert haben, die Wohnung sauberzumachen, und sehen wollten, wer als Erstes nachgibt?«, fragte Lily.
Mom grinste. »Wir schrieben Gedichte in Schmutz und Fett.«
»Schlechte Gedichte.«
»Manche hätten sich fast gereimt.«
»Ich denke«, sagte Lily, »ungefähr so sauber sind Wohnheimduschen.«
Rose zog angewidert die Nase kraus. »Wir werden Flip-Flops kaufen und Lysol.«
Wenn das so weiterging, hätte Mom sie vollständig für die Uni ausgestattet, noch bevor sie überhaupt die elfte Klasse abgeschlossen hatte. »Ich bin gleich zurück«, versprach Lily. Und dann würde sie entscheiden müssen, wann und wie sie Mom die Wahrheit erzählte. Sie gab ihr einen Kuss auf die Wange, schnappte sich ihr Handtuch und ging den Flur hinunter zum Waschraum. Wie nur hatte ihr Großvater all die Jahre mit solch einer riesigen Lüge leben können? Es war ja nicht gerade eine von der »Deine-neue-Haarfarbe-gefällt-mir-aber-sehr«-Sorte. Es war die Lüge aller Lügen.
Lily duschte eilig und ging dann auf Zehenspitzen über den schmutzigen, sandbedeckten Flurteppich zurück in ihr Zimmer. Zwar war sie sich immer noch nicht sicher, was sie zu ihrer Mom sagen sollte, aber sie öffnete trotzdem die Tür. »Mom, hat Grandpa jemals … «
Ihre Mutter war nicht mehr da.
Lily erstarrte. Sofort fielen ihr wieder die Kobolde ein und die Trolle und der Mann ohne Gesicht mit Feuer an den Fingerspitzen. Sie bemerkte, dass das Fenster offen stand, konnte sich aber nicht erinnern, ob es vorhin auch schon geöffnet gewesen war. Mom liebte frische Luft, möglicherweise auch so ein Dryaden-Ding. Lily ging hinüber zur Wand und blickte durch das Fenster hinunter auf das 50th Reunion Tent. Schade, dass sie keinen Röntgenblick besaß, um durch das Zeltdach zu sehen. Sie wandte sich wieder dem Inneren des Zimmers zu, suchte es nach irgendeinem Hinweis ab, einer Nachricht, irgendwas.
Ein Stück Papier, das an der Decke klebte, erregte ihre Aufmerksamkeit. Ihre Schultern entspannten sich, und sie musste grinsen. Baumgeist oder Mensch, Mom war und blieb eben Mom. Lily reckte den Hals und las: Bin kurz raus, Frühstück besorgen. Daneben hatte sie ein Eichhörnchen mit einem Haufen Nüsse gezeichnet.
Lily zog sich hastig an und wünschte, sie hätte ihre Mutter vor den Feedern gewarnt. Sie sollte sich nicht allein auf dem Campus herumtreiben. Lily probierte es auf ihrem Handy. Mailbox. Sie kletterte auf einen Stuhl und schrieb unter Moms Nachricht: Bin los, dich suchen. Ruf mich an! Dann lief sie geschwind hinaus.
Es bestand eine gute Chance, dass die Gefahr durch die Feeder bereits gebannt war. Schließlich hatte jemand Lily in ihr Bett gebracht, und Mr Mayfair hatte Mom angerufen. Also musste die Schlacht vorbei sein und die Feeder
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