Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)
unglaublicher Geschwindigkeit ein silberner Streifen auf. Jakes Klinge.
Nur einen Schritt von dem Wäldchen entfernt blieb das Monster reglos liegen. Aus der Wunde in seinem Hals sickerte eine schleimige, grüne Flüssigkeit. Lily, den Rücken fest gegen einen Baum gepresst, starrte fassungslos auf die Szene. Ihr Herz schlug so laut, dass es alle anderen Geräusche übertönte. Die Augen des Monsters starrten blicklos ins Leere. Das Ganze hatte nicht länger gedauert als dreißig Sekunden.
»Entschuldige«, sagte Jake. »Ich habe es aus Versehen in deine Richtung gejagt.«
Lily schluckte einen Kloß hinunter. Ihr Mund war ganz trocken. »Was ist das?«
»Troll«, erklärte Jake knapp. »Jetzt solltest du hier aber sicher sein.«
»Hm«, murmelte sie zweifelnd. Grünes Blut sickerte in den Teppich aus Kiefernnadeln.
»Wirklich«, versicherte Jake. »Bleib einfach hier.«
»Hm«, wiederholte sie.
»Und bitte versuche, nicht so zu schreien. Das könnte andere Monster anlocken.«
Jake wischte sein Messer am Gras ab, um das grüne Blut zu entfernen. Lily sah ihm dabei zu. »Wie konntest du dich so schnell bewegen?« Seine Hand hatte die Klinge so rasch geführt, dass sie kaum zu erkennen gewesen war. Noch nicht mal Spitzensportler waren derart schnell.
Jake beachtete ihre Frage nicht. Stattdessen hob er den Arm des Trolls an und fühlte dessen Puls. Er schnitt eine Grimasse. »Großvater wird es gar nicht gefallen, dass der hier tot ist und kein Gefangener. Du hast doch auch gesehen, dass es unvermeidbar war, oder?«
Sie nickte heftig. »Der war garantiert nicht hier, um mich liebevoll zu umarmen.«
Jake warf ihr sein Tausend-Watt-Lächeln zu, dann sauste er los, zurück über den Zaun. Jetzt, da sie wieder allein war, wünschte Lily, sie hätte auch so ein großes funkelndes Messer wie er. Auch wenn sie nicht wusste, wie man mit so einem Ding umging. Wie Jake vorhin schon gesagt hatte: Sie war nicht ausgebildet. Gut, sie war ein halbes Jahr lang zum Taekwondo gegangen, weil ihr Großvater darauf bestanden hatte. Aber dort hatte sie lediglich gelernt, ein Brett mit dem Fuß zu zertrümmern und fünfzigmal ganz schnell hintereinander den Hampelmann zu machen – das konnte man ja wohl kaum »Kampfausbildung« nennen. Sie hatte sich damals bloß deshalb darauf eingelassen, weil sie noch mehr Zusatzkurse für ihre Collegebewerbung brauchte. Wenn er ihr gesagt hätte, sie bräuchte es vielleicht zum Schutz gegen irgendwelche Monster. Wenn er nur irgendwas von all dem gesagt hätte.
Lily blickte noch einmal auf den toten Troll, dann huschte sie tiefer in das Wäldchen hinein. Zweige ringelten sich um ihre Schultern, als wollten sie sie trösten. Sie wünschte, sie hätte den Bäumen befohlen, ihr zu helfen. Dann wäre der Tod des Trolls vielleicht zu vermeiden gewesen. Sie aber hatte bloß geschrien wie am Spieß. Sie hätte den Ästen befehlen können, den Troll festzuhalten, und ihm dann ihre Hilfe anbieten können, so wie Tye dem Kobold geholfen hatte. Wäre sie schlauer gewesen, hätte er vielleicht nicht sterben müssen.
Unten auf dem Golfplatz, wo es immer dunkler wurde, sah sie Klingen so schnell umherwirbeln wie Flugzeugpropeller. Wenn zu jeder Klinge ein Ritter gehörte … Sie zählte dreißig Ritter und sechs nicht menschliche Wesen. Aber ganz sicher war sie sich nicht. Wie viele wohl schon gefallen sein mochten? Aufmerksam suchte sie den Boden ab. Aber bei dem bisschen Licht war es unmöglich, Schatten von Körpern zu unterscheiden. Von hier aus wirkte jeder Umriss wie ein Leichnam und jede lebende Gestalt wie ein Monster.
Welcher von den Schatten mochte Grandpa sein? Sie konnte sich kaum vorstellen, dass er einer von diesen messerschwingenden Rittern war, die herumwirbelten wie Derwische. Dass er einer der am Boden liegenden Schatten sein könnte, daran wagte sie gar nicht erst zu denken. Er sollte nicht da draußen sein und gegen Monster kämpfen, dachte sie. Er war ein alter Mann. Er hatte einen Blumenladen. Wenn sie doch nur einen Weg finden könnte, ihm zu helfen!
Ihre Augen wanderten hinüber zu dem toten Troll. Wenn sie auch nur für einen Moment die Aufmerksamkeit der Feeder auf sich lenken könnte, um ihnen alles zu erklären, dann könnte sie ihnen einen Ausweg zeigen – einen Weg nach Hause. Alle könnten ihre Schwerter senken, ihre Messer wegstecken und ihre Mäuler mit den Reißzähnen zuklappen, und es würde keine weiteren Verletzten geben.
Sie konnte der Schlüssel sein, das hier
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