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Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)

Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)

Titel: Ivy - Steinerne Wächter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Beth Durst
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spitze Fingernägel das Mark aus Lilys Knochen kratzen. Sie sackte zu Boden und rollte sich zusammen wie ein Embryo, als die Schmerzensschreie der Bäume in ihrem Körper widerhallten und alles andere aufhörte zu existieren. Flammen leckten an den Stämmen empor, züngelten in die Kronen hinauf.
    Durch das orange-rote Glühen hindurch nahm sie wahr, wie der Feeder erneut auf ihren Großvater zielte. Diesmal streifte der Feuerball Grandpas Arm, und sein Hemdsärmel begann zu brennen. Wieder wollte Lily schreien, aber ihre Stimme war nur noch ein heiseres Krächzen. Sie schmeckte Rauch. Als sie versuchte, von den Bäumen wegzukriechen, begannen ihre Muskeln zu zittern und versagten den Dienst. Durch den Blättervorhang sah sie, wie Großvater zu Boden ging. Sie musste ihm helfen! Lily krallte ihre Finger zwischen die Wurzeln des Unterholzes. »Erstickt das Feuer«, flüsterte sie. Beblätterte Stängel begannen, sich in Richtung der züngelnden Flammen zu winden. Das Einhorn richtete sein Horn auf Grandpa und stieß zu.
    Alles wurde schwarz.

Kapitel zehn
    L ily wurde vom Gesang ihrer Mutter geweckt. Als sie blinzelnd die Augen öffnete, gab Rose ihr einen dicken Kuss auf die Stirn und flötete fröhlich: »Guten Morgen, du Schlafmütze!«
    »Morgen«, murmelte Lily und dachte: Was für ein bizarrer Traum . Sie rollte sich auf den Rücken, reckte und streckte sich. Über ihr schmückte ein kompliziertes Gewirr von Ranken und Blättern und Blüten die Zimmerdecke.
    Hastig setzte sie sich auf und erblickte genau gegenüber, neben dem Fenster, den Angeketteten Drachen, präzise und elegant auf den grobkörnigen Putz gezeichnet. Es war kein Traum gewesen. Sie sah hinunter auf ihre Hand. Jemand hatte den Verband entfernt. Wo der Drache sie gebissen hatte, waren kleine, unregelmäßige Schwellungen zu sehen, die eher den Bissspuren einer Katze ähnelten als den stark blutenden Wunden von gestern.
    Gestern.
    Ein Bild blitzte in Lilys Kopf auf: Grandpa. Er fällt ins Gras. Flammen züngeln seine Arme entlang. Ein Einhorn senkt seinen Kopf zum Angriff. »Wo ist Grandpa?«, fragte sie schwach und versuchte, nicht panisch zu klingen.
    »Grandpas Freund, Mr Mayweather oder so ähnlich, hat angerufen und Bescheid gesagt, dass die beiden heute in seinem Club frühstücken«, erwiderte ihre Mom. Dann brach sie in strahlendes Lächeln aus und fügte hinzu: »Heute suchen wir uns selber was Essbares. Wie die Eichhörnchen!«
    Grandpa lebte. Gott sei Dank! Lily spürte, wie ihr Brustkorb sich entspannte und sie wieder atmen konnte. Sie verschränkte die Hände ineinander, damit Mom nicht sah, wie sie zitterten. Wenn sie auch nur das Geringste von dem erfuhr, was gestern Abend passiert war … »Du hast dir die Haare gefärbt«, stellte Lily fest. Moms Haare waren jetzt neon-orange.
    »Gefällt’s dir?«, fragte Rose und berührte einige Strähnen.
    Lily sah genauer hin. Auch die Kopfhaut war strahlend orange, und über die Stirn zog sich ein orangefarbener Streifen. »Das ist keine Haarfarbe.«
    »Sprühfarbe«, sagte Mom.
    Lily ließ sich hintenüber aufs Bett fallen. Eine Sprungfeder bohrte sich tief in ihren Rücken. »Aua!« Ob dieser Flitz mit den Haarfarben eine Eigenart ihrer Mutter war? Oder hatte er etwas mit den Wesenszügen einer Dryade zu tun? Wie viel von Moms Persönlichkeit war ihre eigene, menschliche? Und wie viel davon gehörte zu ihrem Baum-Sein? Wie wütend mochte Grandpa darüber sein, dass Lily gestern Abend ihr Versteck verlassen hatte?
    »Ich wusste, es würde dir nicht gefallen. Darum hab ich dir was gekauft, als Bestechung. Damit du mir verzeihst.« Sie zog ein T-Shirt aus einer Tüte und warf es Lily zu.
    Lily fing es, setzte sich aufrecht hin und breitete es auf ihrem Schoß aus. Es zeigte ein orangefarbenes P und einen Tiger. Sie ließ ihre Finger über den Tiger wandern und musste an Tye denken. Bis jetzt hatte sie nicht verstanden, wie mutig es von ihm war, wenn er versuchte, Feeder zurück nach Hause zu bringen. Die wollten ihre Sucht ja gar nicht loswerden. »Danke«, sagte sie mit einiger Verspätung. »Warte mal, du warst einkaufen, ganz alleine?«
    Beruhigend tätschelte Rose Lilys Schulter. »Du machst dir immer so viele Sorgen. Es ist alles gut gegangen.«
    Ja, aber nur, weil sie Glück gehabt hatte. Wäre sie auf einen Feeder getroffen …
    Einen Moment lang war Lily versucht, ihrer Mutter die Wahrheit zu sagen, jetzt und hier, ohne auf Grandpa zu warten. Du bist kein Mensch, könnte sie zum

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