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Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)

Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)

Titel: Ivy - Steinerne Wächter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Beth Durst
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in sicherem Gewahrsam. Trotzdem, hier ging es um Mom. Lily würde auf keinen Fall ein Risiko eingehen, was sie betraf.
    Auf der anderen Seite des Hofes sah Lily einen großen Tisch, beladen mit Bagels und Croissants – wenn Mom Frühstück besorgen wollte, hätte sie nur da rübergehen müssen. Doch die Freiwilligen, die den Stand betreuten, konnten sich an niemanden erinnern, der Moms Beschreibung entsprach. Einen Bagel kauend, versuchte es Lily beim Einlassdienst.
    Dieselbe ältere Frau mit dem perfekten Gebiss strahlte Lily an, als sie näher kam. »Die Enkelin von Richard Carter, richtig?«, fragte sie.
    »Ähm, ja«, erwiderte Lily. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass jemand sich an sie erinnerte. »Ich suche meine Mutter. Sie trägt ein Princeton-Shirt und hat leuchtend orangefarbenes Haar. Haben Sie sie zufällig aus dem Zelt kommen sehen?«
    »Aber ja. Sie ist hier vorbeigegangen. Mit Mr Mayfair. Vor ein paar Minuten erst«, meinte die Frau. »Wie schön, dass es euren Familien gelungen ist, auch nach der Tragödie eng befreundet zu bleiben.«
    »Hm, ja«, meinte Lily unbestimmt. »Danke.«
    Die Frau lächelte sie so breit an, dass jeder einzelne ihrer perfekten Zähne zu sehen war. »Freut mich, wenn ich dir helfen konnte.«
    Lily lief eilig weiter. Noch einmal probierte sie Moms Handy, dann das von Grandpa. Mr Mayfair hätte auch Lily abholen sollen, nicht nur ihre Mutter. Sie musste doch dabei sein, wenn Grandpa ihr erklärte, warum er verletzt war und Brandwunden hatte. Sie musste sichergehen, dass Mom diesmal die Wahrheit erfuhr. Es war höchste Zeit.
    Auf der Prospect Avenue legte Lily eine Pause ein. Sie war zwar nur über den Campus gelaufen, nicht gerannt, aber trotzdem völlig außer Puste. Tief sog sie frische Luft ein, doch es fühlte sich an, als ob aller Sauerstoff aus der Atmosphäre entwichen wäre. Ihre Brust war eng, ihre Muskeln zitterten.
    Um wieder zu Atem zu kommen, lehnte sie sich gegen einen Ahornbaum. Sie spürte seine Rinde an ihren Armen, hörte aber nichts. Kein statisches Rauschen. Keine Töne oder Melodien. Nur ganz alltägliche Geräusche. Sie musste daran denken, wie sie sich inmitten der Bäume im Park von Forbes gefühlt hatte. Dort war die Magie förmlich aus ihr herausgeflossen. Und wer weiß, vielleicht war das ja auch wirklich passiert? Vielleicht hätte sie heute Morgen lieber ihre Medizin nehmen sollen, statt lediglich einen Bagel zu essen.
    Lily ging weiter, die Prospect Avenue hinunter, wobei sie zweimal stolperte. Als sie Vineyard Club betrat, machte sich hinter der Stirn zwischen ihren Augen ein stechender Kopfschmerz bemerkbar. Hoffentlich hatte wenigstens Mom heute Morgen an ihre Medizin gedacht. Nein, korrigierte sie sich. Nicht Medizin. Magie. Wie niedrig mochte Moms Magiepegel wohl inzwischen sein? Jedenfalls hatten die Blumen im Laden in ihrer Gegenwart noch niemals angefangen zu tanzen. Wahrscheinlich kam sie jeden Tag mit äußerst wenig davon aus.
    Einer der Old Boys hatte es sich auf einer roten Ledercouch gemütlich gemacht. Jetzt erhob er sich, als wolle er Lily aufhalten. Doch ein zweiter nickte ihr zu. Sie erkannte ihn wieder. Er war bei ihrem allerersten Treffen gewesen. »Sie ist eine von uns«, sagte er. Der erste Mann setzte sich wieder hin und nahm seine Zeitung zur Hand. Trotzdem fuhr er fort, Lily aufmerksam zu beobachten. Der zweite klappte sein Handy auf und sprach hinein: »Richards Enkelin ist hier.«
    Nur Sekunden später tauchte Jake auf. Er kam die Treppe zum Schankraum hoch. »Jake, hast du gesehen … «, begann Lily und verstummte sofort wieder. Gott, er sah schrecklich aus – oder zumindest so schrecklich, wie ein solcher Goldjunge nur aussehen konnte: verquollene, rote Augen, blasse, wächserne Haut. »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Ist das erste Mal, dass ich beim Aufräumen helfe … «, nuschelte er. Dann stürzte er zu einem Mülleimer, der in einer Ecke der Lobby stand, packte ihn mit beiden Händen und übergab sich. Ein paar Minuten später richtete er sich wieder auf und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. »Toll«, meinte er dann, entweder zu sich selbst oder zu dem Eimer. »Sehr männlich.«
    »Möchtest du etwas Wasser oder … ?«, fragte Lily.
    Er warf ihr ein schwaches Lächeln zu. »Geht schon. Alles klar.« Dann verfinsterte sich seine Miene. »Gestern Abend. Was hast du dir dabei gedacht? Du solltest dich doch versteckt halten.«
    Sie wurde über und über rot. »Ich dachte, ich könnte helfen.«

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