Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)
viel.«
»Oh, aber er ist doch ein edler Ritter«, sagte die Fee. »Die Tugend in Person.« Sie stieß einen tiefen, glücklichen Seufzer aus. »Fühlst du dich denn nicht auch durch seine bloße Anwesenheit schon erhoben?«
Langsam, ganz langsam wich Lily zurück. »Er macht mich krank.«
In einer Geste gespielten Entsetzens schlug die Fee die Hände an die Wangen und flatterte elegant rückwärts. Läutendes Gelächter hallte von den Kirchenwänden wider. »Natürlich weiß ich, dass er vorhat, mich zu töten, du Dummerchen.«
»Du weißt es?«
Die Fee kam wieder zu Lily herübergeschwebt und lächelte verschwörerisch, als hätte sie vor, ihrer besten Freundin von ihrem geheimsten Traum zu erzählen. »Doch bevor Joseph Mayfair mich aufs Kreuz legt, leg ich ihn aufs Kreuz. Du, mein liebes, süßes, entzückendes Täubchen, wirst das Tor für mich öffnen.«
»Oh!«, entfuhr es Lily. »Oh, wow – du willst nach Hause!« Eine Woge der Erleichterung überrollte sie, so schnell und stark, dass ihre Muskeln weich wurden wie Pudding und sie ins Wanken geriet.
Geschwind griff die Fee zum Garderobenständer neben der Tür und nahm sich eines der Chorgewänder. Sie faltete ihre Flügel zusammen, legte sie glatt an den Rücken und warf sich den Umhang mit einem kühnen Schwung um die Schultern. Sorgfältig drapierte sie das Gewand, bis die zarten Hautgebilde vollständig in den Tiefen des schwarzen Stoffes verschwunden waren. »Auf diesen Moment habe ich viele Jahre lang gewartet«, sagte sie dann und hakte sich bei Lily unter. Der Umhang fegte über den marmornen Boden, als sie Arm in Arm mit Lily die Treppe hinunterging. »Es ist wirklich an der Zeit, mein Bündnis mit Mr Mayfair zu beenden, so unterhaltsam es auch war. Sag mir, mein Liebes, was hat dich eigentlich geritten, dir eine so widerliche Gesellschaft auszusuchen wie die Ritter von Princeton?«
»Ich wollte lediglich aufs College«, erwiderte Lily. Vor ein paar Tagen noch hatte alles so einfach ausgesehen: einen Campusrundgang machen, das Bewerbungsformular ausfüllen, die Daumen drücken, fertig. »Aber dann wurde alles ganz kompliziert.«
Die Fee tätschelte ihr beruhigend die Hand. »Das wird es immer.« Als sie unter dem Kirchenportal durchkamen, winkte sie zu dem Angeketteten Drachen hinauf. »Ich geh dann mal, alter Freund, meine Freiheit einfordern. Wie schade, dass du mich nicht begleiten kannst.«
»Lass mich frei«, zischelte der Drache zurück. »Gib mir den Schlüssel.«
Die Fee gurrte mitfühlend. »Oh, ich wünschte, ich könnte, schon um der alten Zeiten willen. Aber ich fürchte, ich kann mich nicht von ihr trennen. Bitte entschuldige das Wortspiel, aber sie ist der Schlüssel zur Erfüllung all meiner Träume!«
Wütend wand sich der Drache und zerrte an der steinernen Kette. Um ihn herum stiegen Staubwölkchen auf.
»Ts ts ts.« Spöttisch schnalzte die Fee mit der Zunge. »Launisch wie immer.«
»Lass uns beenden, was wir angefangen haben« , bettelte der Drache. Seine Stimme glitt an Lilys Rückgrat hinunter wie ein schleimiger Wurm. »Diesmal werde ich nicht versagen.«
Lily erstarrte mitten auf der Treppe. »Diesmal?« Dann begann sie, zwei und zwei zusammenzuzählen. »Vor all den Jahren, als es dem Drachen gelang, zu entkommen … Er hätte den Schlüssel niemals allein in seine Gewalt bringen können.« Die Fee wurde hübsch rot und machte einen artigen Knicks. »Du hast ihm geholfen. Du bist schuld am Tod meines Vaters. Und an dem von Tyes und Jakes Mutter. Und an dem von Jakes Vater auch.«
»Oh bitte, Kindchen. Kein Grund, so böse auf mich zu sein«, entgegnete die Fee. »Ich war bloß eine Hilfskraft. Hab nur Befehle befolgt.«
»Wessen Befehle?«, fragte Lily.
Der Drache im Steinbogen über ihnen knurrte grollend.
»Überleg doch mal, Törtchen«, sagte die Fee. »Vorhin in der Kirche warst du schon ganz nahe dran.« Sie kicherte. »Im wahrsten Sinn des Wortes.«
»Mr Mayfair?«, fragte Lily fassungslos.
»Erklärung!« , forderte der Angekettete Drache fauchend und schlug seinen steinernen Schwanz gegen den Türbogen. Ein Schauer aus Steinstaub ging auf sie nieder.
Die Fee lachte lauter. Es klang wie das Bimmeln von Kirchenglocken. »Oh, ist das ein Spaß! Ich sollte meine Verbündeten viel öfter aufs Kreuz legen!« Dann, zu dem Drachen gewandt: »Ich war nur die Botin. Jaja, meinschuppiger Freund, er war es, der dir deine Freiheit im Austausch gegen den Tod dieses Schlüssels versprochen hat. Und er war es
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