Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)
Möglichkeiten, das zu verhindern. Nummer eins: Wir helfen den Rittern, und zwar jetzt gleich. Nummer zwei … « Er sah seinem Vater direkt in die Augen: »Ihr schließt die Tür für alle Zeiten. Ihr tötet Lily und mich.«
Totenstille senkte sich über den Hof.
Dann wurde Jake erneut von einem Hustenanfall durchgeschüttelt und klappte zusammen. Tye ging zu ihm hinüber und legte ihm einen Arm um die Hüfte. »Stütz dich auf mich.«
Jake hob mühsam den Kopf und musterte seinen Halbbruder stumm.
Lily wagte nicht zu atmen. Es war, als hielten plötzlich alle Wesen, selbst die Bäume, die Luft an und warteten gleich ihr gespannt darauf, wie Jake reagieren würde.
»Danke dir«, sagte Jake und stützte sich auf Tye.
Beide sahen hinüber zu den Mitgliedern des Rates.
Der Tigermann seufzte vernehmlich. »Punkt für euch.«
Er wandte sich dem Rat zu. »Ich selbst werde unsere Krieger in die Menschenwelt führen. Ruft sie alle hier zusammen.«
Kapitel fünfzehn
N ach und nach versammelten sich Träume und Albträume auf dem Hof. Lily stand wartend neben dem Tor und ließ ihren Blick über die magischen Krieger schweifen. Sie sah Flügel und Tentakel, Schuppenpanzer und Fell. Haut schimmerte smaragdgrün, rubinrot und saphirblau, aber da waren auch mondlichtloses Nachtschwarz und tiefes Erdbraun. Einige der Kämpfer ragten hoch und mächtig auf wie die umstehenden Eichen. Andere, nicht viel größer als Nachtfalter, schossen kreuz und quer durch die Luft.
»Mir nach«, donnerte der Tigermann und schritt auf das Tor zu.
Tye trat hastig neben eine der Säulen. Sein linker Arm und der linke Fuß verschwanden im Nichts. Lily tat es ihm auf der anderen Seite gleich. Wie ein Spiegelbild streckte sie den rechten Arm in die Menschenwelt aus.
Ohne innezuhalten oder seinen Sohn auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen, marschierte der Tigermann durch das Tor und verschwand. Andere folgten ihm: ein Löwe mit Federn statt Fell, ein beinahe drei Meter großer Troll, ein weiblicher Zentaur, drei Einhörner. Bald ergoss sich ein nicht enden wollender Strom magischer Wesen durch das Tor in die Menschenwelt.
Als die Flut versiegte und nur noch ein paar letzte Nachzügler kamen, bat Jake die Dryadenkönigin flehentlich: »Lass mich kämpfen.«
»Unsere Tochter wurde uns noch nicht zurückgegeben.« Mit dem Finger deutete die Königin auf zwei der Dryaden, die Jake flankierten. »Sorgt dafür, dass er hierbleibt.«
»Nein! Lasst mich gehen!«, schrie Jake verzweifelt. Doch die beiden Baumgeister hielten ihn fest bei den Armen gepackt.
Lilys Großmutter begab sich mitsamt ihrem Gefolge zum Tor. »Mom ist in Vineyard Club, zweiter Stock«, sagte Lily.
Die Königin beugte sich vor und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Die Berührung ihrer Lippen fühlte sich sanft und kühl an. »Wir werden sie nach Hause holen.« Bevor Lily etwas erwidern konnte, waren die Dryaden durch das Tor verschwunden.
Lily ging hinüber zu Jake, der immer noch versuchte, sich von seinen Bewachern loszureißen. »Jake.« Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ist schon gut, Jake. Wir kommen zurück und holen dich. Versprochen.«
Er sackte kraftlos gegen einen der Baumgeister. »Dann … Helft den Rittern, okay?«
Schon öffnete sie den Mund, um ihm die Wahrheit über seinen Großvater zu erzählen, doch da begann er so heftig zu zittern, dass sie es nicht übers Herz brachte. Wenn sie es ihm jetzt sagte, würde er daran zerbrechen. Das konnte warten, bis es ihm wieder gut ging. Also umarmte sie ihn einfach nur. »Halt die Ohren steif.«
Jake neigte den Kopf, beugte sich zu ihr und presste seine Lippen fest auf ihre. Ganz lange hielt er den Kuss, als wolle er sie ganz und gar in sich aufnehmen. Vor Verblüffung riss Lily die Augen weit auf, ließ es aber geschehen. Als er sie wieder freigab, lag ein Lächeln auf seinem Gesicht. Und dieses Lächeln hatte trotz der Schmerzen, die in ihm wüten mussten, immer noch die Kraft, Eisberge zu schmelzen. Lily rang nach Worten.
»Geh«, sagte Jake. »Wir sehen uns bald wieder.« Dann führten ihn die Baumgeister mit sich fort. Lily blickte ihm nach, wie er stolpernd zwischen ihnen im Wald verschwand. Sie selbst war ebenfalls kaum in der Lage, geradeaus zu gehen, und wankte mühsam zurück zum Tor.
Dort stand Tye, stumm, und wartete auf sie.
Lily blieb direkt vor ihm stehen.
Er sagte noch immer nichts.
»Hör zu«, begann Lily. »Woher willst du wissen, ob ich wirklich deine
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