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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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er mir den Schädel einschlagen. Sie hingen ihm an den Seiten wie vergessen.
    Er sah über mich hinweg. Sein Mund, noch zum
    Fluchen geöffnet, verbreitete sich zu einer Art Lä-
    cheln. Mister Trumpet, am Achterdeck, lächelte zu-
    rück – in Mister Taplows heiße Augen. Ein rasches
    Lächeln, im Augenblick schon wieder unterdrückt.
    Mister Taplow wischte mit der Faust über den
    Mund, öffnete dabei die Finger, wobei sein Zeigefinger an der Nase verweilte und dann eine langsame
    Linie am Mundwinkel vorbeizog, als wolle er dafür
    eine neue Form zeichnen …
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    Gegen Nachmittag wurde die Luft zum Schwitzen
    heiß, und der Wind legte sich fast vollständig. Trotz der großen Hitze ließ Mister Morris die Mannschaft
    in die Rahen klettern und jeden Zoll Leinwand set-
    zen, um den sterbenden Wind einzufangen. Unter
    voller Besegelung flappte, knarrte und ächzte die
    Charming Molly wie ein alter Mann bei Turn-
    übungen, und kam, wie ein alter Mann, wenig voran,
    weil so erbärmlich wenig Wind wehte.
    Ein schwacher grauer Hügel, den ich hinter uns am
    Horizont gesehen hatte, hatte sich jetzt zu einem
    kleinen Berg ausgewachsen, der die See mit dem
    Himmel zu vereinen schien. Was immer er war, er
    zog dauernd unruhige Blicke der gesamten Mann-
    schaft auf sich und trieb sie zur Arbeit, gute Fahrt zu machen, um ihm zu entrinnen. Es gab nur eine Meinung über diese Schwärze: »Gott helfe uns, wenn wir da reinkommen.«
    Dann stieg die Sonne langsam quer an unserem
    Klüver vorbei und wieder hinunter, wo sie hing wie
    eine blutige Lampe. Große schwarze und violette
    Wolken krochen am Himmel hinter uns hoch, in ver-
    rückten, erschreckenden Formen. Am häufigsten wa-
    ren sie wie wilde Bestien mit gestreckten Klauen –
    und mir fielen Worte ein, die ich gehört hatte: »Da geht er, wie ein großer schwarzer Tiger am Himmel.«
    Ich hatte Mister Trumpet einige Stunden nicht ge-
    sehen, und gegen Abend verschwand auch Mr. Ta-
    plow. Ich begann, in alle dunklen Winkel zu schauen.
    Aber ich fand keine Spur von Mister Trumpet oder
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    Mister Taplow. Nur noch ein Ort blieb zu durchsu-
    chen, dafür mußte ich aber bis zur Dunkelheit war-
    ten. Als es Nacht war, ging ich dorthin und betete, daß mich kein Licht verraten würde, während ich
    Zoll um Zoll die Falltüre hob. Ich hatte eine Ahnung, daß Mister Trumpet und Mister Taplow im Laderaum zusammen waren.
    Absolutes Schweigen herrschte im Innern, und der
    alte vertraute Gestank stieg still empor wie ein fragendes blindes Wesen. Einen Augenblick glaubte ich, daß ich mich getäuscht oder sie durch eine Bewegung erschreckt hätte – als kleine Laute vernehmbar wurden. Einen nach dem anderen erkannte ich: das Knar-
    ren der maulenden Schiffswand … das Klatschen der
    Wellen an unsere Seiten … das leise Schwappen des
    Bilgenwassers … das frauenhafte Rascheln panischer
    Ratten … Aber man hörte auch ein anderes Ge-
    räusch, ein schwaches Zischen, das kam und ging,
    kam und ging … Ein Atemgeräusch.
    »Was war das?«
    Mannesgeflüster ist schwer zu erkennen. Leiden-
    schaft und Heimlichkeit machen sie alle gleich. Aber ich glaubte, es sei Mister Taplow.
    »Muß ’ne Ratte gewesen sein.«
    Das Schweigen dauerte ungewöhnlich lange, und
    all die vertrauten Laute setzten respektvoll aus.
    »Jetzt ist es still.«
    Das war Mister Trumpet. Ich hätte schwören mö-
    gen, daß er seine Hand auf Mister Taplows Arm leg-
    te: »Alter Freund, die Zeit wird knapp.«
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    Ich hörte den anderen den Atem ausstoßen, als
    schmerze er ihn. Dann nahm Mr. Trumpet wieder
    auf, was er hatte einfädeln wollen – und zwar, Mr.
    Taplow mit dem Schatz der Esperance ködern. Ich
    hörte Mister Taplows Atem ungestümer gehen, als
    zerrisse er ihn mit jedem Mal.
    Jetzt kam etwas Ätzendes in Mister Trumpets
    Worte – ein innerliches Gift, das ihn mit seiner Bitterkeit gegen Mister Morris und den Kapitän, den er nie gesehen hatte, auffraß. Denn sie wollten von seinem Plan nichts wissen, und so glitten ihm zehn Millionen Pfund Gold und Juwelen durch die Hände.
    Er hatte erzählt, wie reich die Esperance war,
    aber die Antwort war gewesen: »Reichtum ist nicht
    alles auf der Welt«.
    (»Ach ja, es gibt auch Bettlertum, alter Freund!«)
    Er hatte geschworen, sie sei unbewaffnet, und hatte zu hören gekriegt: »Der kommende Sturm hatte Kugeln und Blei für zwei. Entrinne dem Sturm und lebe, um einen anderen Tag zu durchkämpfen.«
    (»Leben, um zu kämpfen? Was für ein Leben mit
    nichts

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