Jack Holborn
wollte, welche Stimme ich hörte – seine jetzige oder die, die Mister Taplow im Laderaum gelockt hatte. Ich fragte mich, warum er nicht in Ketten lag: dann fiel mir ein, daß ich der einzige war, der ihn belauscht hatte. Also hatte ich Macht über ihn. Ich versuchte, seinen Blick zu erhaschen, aber der seine war zu hurtig und schlüpfrig und voller Furcht und Leidenschaft …
Ich wollte ihm sagen, er solle lieber auf der Hut sein, denn er sei in meiner Macht, und ich würde nicht zögern, ihn zu verraten, als er nach draußen guckte und plötzlich erstarrte. Er wandte sich mit förmlich flammenden Augen wieder mir zu. Seine Lippen schienen sich zu bewegen, aber vergebens, denn er wurde beiseite geschoben.
Endlich war es der Kapitän. Gott, wie blaß er war! Seine ländliche Hautfarbe war ganz verschwunden. Wie wenig Blut mußte noch in ihm geblieben sein.
»Wach? Wach, Junge?« Aber seine Stimme war so wohltuend wie zuvor. »Deine Augen glänzen wie Sterne!«
Schwer auf den Stock gestützt tappte er schwankend durch die schaukelnde Kajüte und legte mir die Hand auf den Kopf. »Keine Spur von Fieber mehr, und doch sind deine Augen glänzend wie Sterne.«
Er setzte sich nicht neben mich, wie ich halb erwartet hatte, – da ich mich erinnerte, wie ungezwungen er sich einst neben mich an Deck gehockt hatte.
»Ich bleibe nicht lange. Ich will dich nicht ermüden. Als ich in meiner Kajüte krank lag, schätzte ich den Frieden und die Stille. So wird’s dir wohl auch gehen, wie? Ich habe nur reingeschaut, um dir zu danken, Jack, weil du mir das Leben gerettet hast. Dank dir, dank dir. Du hast mir eine große Bürde auferlegt, und ich muß mich ihrer entledigen, bevor der letzte Spruch gesprochen ist.«
Er ging die ganze Zeit umher, als sei zwischen uns eine Befangenheit, die vorher nicht da war. Offensichtlich wollte er wieder fort. Aber ich hatte sein Leben gerettet. Darauf kam es an.
»Dann wollen Sie dran denken, Sir«, sagte ich voll großer Hoffnung, »daß ich Sie dieses Mal gerettet habe?«
Er sah mich an mit einem Blick, daß ich wünschte, ich hätte nicht gesprochen. Seine Fischaugen drangen mir mit etwas wie Geringschätzung mitten in die Seele. Aber einer von uns mußte ja Buch führen …
»Ich werde mich erinnern, Junge, denn es ist nicht meine Gewohnheit zu vergessen.«
Am nächsten Morgen (obwohl er schwarz war wie die Nacht) weckte mich Mister Morris, der ein blutiges Tuch um den Kopf trug, und sagte mir, es ginge mir besser. Dahin waren meine Hoffnungen, daß ich sein Gast bleiben könnte. Er ließ kein Wort darüber fallen, was ich getan hatte: er sah, daß ich lebte und deutete mit dem Daumen auf die schwingende Tür. Zurück dahin, wo ich hergekommen war: zurück, wo ich hingehörte: zurück zu Mister Pobjoys Kombüse. Die Wunde war verheilt und ich war wieder Mister Pobjoys Schorf.
Von der Meuterei blieb also nichts übrig außer Mister Taplow, der im Laderaum an den Hauptmast gekettet war. Und von dem war auch nicht allzuviel übrig, denn er war durch die Finsternis und seine zerstörten Hoffnungen völlig dem Wahnsinn verfallen. Dann war endgültig Schluß mit ihm, und auf eine stille und grausige Weise.
Als Mister Pobjoy die Luke öffnete, um ihm das Essen runterzuwerfen, sah er, daß er tot war; und mit einem Marlspieker mitten durch den Rücken. Wer das getan hatte, schien kein großes Geheimnis. Vorher hatte der Kapitän Taplow sagen lassen, er solle mit seinem Geheul aufhören, oder er werde selbst damit Schluß machen. Jetzt heulte er nicht mehr. Im Laderaum herrschte also Frieden, aber außerhalb war davon wenig zu spüren.
VIII
Wir begruben Mister Taplow zwei Tage nach seinem Tod. Vordem war das Wetter zu wüst gewesen, und wir rollten und stampften so sehr, daß es unmöglich gewesen wäre, etwas so Schweres wie die Leiche des Wallisers aus dem Laderaum nach oben zu holen. Aber irgendwann war Mister Pobjoy unten gewesen, um ihn »auszulegen« und in eine Art grobe Sackleinwand einzunähen »aus Respekt und Anstand für den armen, ermordeten Toten«. (Ich fragte mich, wessen Einfall das gewesen war: die des einfältigen Mister Pobjoy oder des tiefinnerlich auf Anschläge sinnenden?) Während dieser zwei Tage wurde vom Mord nicht gesprochen.
Aber wenn auch nichts geredet wurde, wurde doch viel gedacht. Ich hatte die Charming Molly niemals so mit Schweigen geflickt erlebt. Ganz sicher und gewiß hatte Mister Taplow verdient, was er kriegte. Aber nicht in den Rücken und
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