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Jack Holborn

Jack Holborn

Titel: Jack Holborn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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wahnsinnigen Annäherung war nur sehr wenig Zeit vergangen.
    »Die Kinder! Die brennenden Kinder! Sie haben mir meine Weiße Lady gestohlen.«
    »Laßt ihn«, flüsterte Mister Morris, als er zu uns herunterkam. »Man kann ihm nicht helfen. Lange kann er so nicht weitermachen.«
    Mister Morris hatte recht. Mit einem seltsamen schweinischen Grunzlaut wurden Mister Trumpets Beine zu Wasser, und er brach in seinem eigenen halbfertigen Grab zusammen.
    »Ist er jetzt tot?«
    Mister Morris antwortete nicht. Statt dessen häufte er etwas Erde unter Mister Trumpets Kopf und entfernte einen Stein, der ihm gegen die Wange drückte. Und als Lord Sheringham taumelnd aus dem Dunkel kam, sagte er: »Er schläft jetzt. Ich glaube, er wird sich vielleicht erholen.«
    Das Fieber mußte sich ausgebrannt haben. Mister Trumpet lag schlafend da, erschöpft von seinen Schauergeschichten.
    Aber etwas anderes Erstaunliches hatte sich zugetragen, etwas, das nicht ganz so erfreulich war – und in der Tat gespenstisch. Die Weiße Lady war verschwunden. Sie war fort von da, wo Lord Sheringham sie gelassen hatte. Und ein solcher Gegenstand war nicht leicht zu übersehen.
    Zuerst glaubten wir, Mister Trumpet hätte sie an sich gerissen und dann unglücklich aus der eigenen. Hand gleiten lassen. Daher suchten wir jeden Zoll des Bodens ab, den er betreten hatte. Vom Stein keine Spur. Nichts. Tropfen schimmernden Wassers, nasse Kieselsteine, ein glitzerndes Blatt – nicht mehr als das.
    Gott weiß, wie lange wir suchten, bis wir jene andere ungereimte Wahrheit hinnehmen mußten: er war fort – völlig verschwunden, als wären die brennenden Kinder in Mister Trumpets Traum aus der brütenden Finsternis gekommen und hätten ihn weggeholt.
    Aber ich glaube, Mister Morris hatte eine andere Erklärung, obwohl er sie wie gewöhnlich für sich behielt. Es war nur der gelegentliche Blick nach dem suchenden Richter, der sie verriet: und ich verstand seinen Argwohn, daß in Lord Sheringhams verzweifeltem Kampf, der Mister Trumpets Rettung galt, mehr auf dem Spiel gestanden hatte, als zu sehen war. Er glaubte, daß dieser Mann – sein früherer Freund – die Weiße Lady gestohlen hatte. Und dieser Glaube schien zwischen die beiden einen tiefen Keil zu treiben – und wahrhaftig, zwischen uns alle.

XIII
    Als die Sonne hochstieg, begannen all die Millionen Vögel des Waldes zu singen: hoch oben in dem wirren Grün kreischten und wimmelten sie in ihren unsichtbaren Schwärmen.
    Wir lagen auf einem sanften Abhang, der das einzig sanfte in diesem wilden, riesigen Platz war, mit Bäumen, deren Wipfel wir niemals sahen und deren lebende Luftwurzeln sich schwangen und schlängelten und bogen – zur unendlichen Verwirrung des Auges – wie Papierschlangen, die von der Krönung eines Riesen übrig sind.
    Lord Sheringham und Mister Morris waren auf Nahrungssuche gegangen. Sie hatten ein Paar geladene Pistolen mitgenommen und mich zur Wache über den schlafenden Mister Trumpet zurückgelassen. Sie wollten nicht lange fort sein. Darauf hatten wir uns geeinigt. Der Wald mußte voller eßbarer Lebewesen sein, und sonst gab es nichts, was sie ablenken konnte. Ich durfte, komme was wolle, mich nicht von der Seite des Kranken rühren. Er sah im Schlafe in der flachen Mulde, die sein Grab werden sollte, unschuldig aus wie ein kleines Kind. Aller Haß und alle Rachegedanken schienen durch das Fieber aus ihm herausgespült. Ich fragte mich, ob sie mit dem Erwachen wiederkehren würden und mit ihm der scharfe, manchmal hämische Blick und das hurtige listige Lächeln, das sich über sein Gesicht verbreitete wie Öl …
    Dann begann ich zu überlegen, ob ich wirklich froh war, daß er nicht sterben mußte, denn er war keineswegs einer der friedfertigsten Gefährten. Wenn er gestorben wäre – wie Taplow gestorben war – und ein Stück von sich in unserem Gedächtnis zurückgelassen hätte, dann würde auch die Menschlichkeit, die sein Fieber in Lord Sheringham erweckt hatte, so lange andauern wie die Erinnerung an Mister Trumpet. So hätte er denn durch seinen Abgang von der Welt auf den Flügeln des Mitleids uns einen besseren Dienst erwiesen, als wenn er darin blieb, um das Dasein wieder zu versauern. Denn ich hatte Angst für ihn und uns, wenn er aufwachen sollte. Erdbeben würden sich in seinem Hirn ereignen, wenn er entdeckte, daß er in der Tat die Weiße Lady verloren hatte.
    Bald darauf glaubte ich durch den Lärm der Vögel unsere Jäger zu hören, die

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