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Jack Holborn

Jack Holborn

Titel: Jack Holborn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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forschend im Raum um, lächelte dann halb und richtete den Blick auf Mister Trumpet. Er kam zu ihm und fragte leise: »Sind Sie der Gatte der Weißen Lady, und ist einer Ihrer Freunde in der Patsche?«
    Mister Trumpet furchte die Stirn und nickte, und die zweite Botschaft kam zum Vorschein. Diesmal ging sie nicht an mich.
    Mister Trumpet las sie, zweimal, und steckte sie dann weg. Er wollte sie mir nicht zeigen. Ich beschloß, die Guinea erst dann zu borgen, wenn ich wußte, was drin stand.
    Aber das verzögerte sich, bis wir Salisbury erreichten, wo wir übernachteten. Er gab sie mir nach dem Abendessen ohne ein Wort, überreichte sie mir wie einen letzten Gang.
    Diesmal stand mehr drin.
    Dover Street 17. London. Aber bring um Gottes willen nicht den Jungen mit. S.
    Da beschloß ich endgültig, die Guinea nicht zu borgen.

XXIII
    Wir erreichten London in Regen und Dunkelheit am 28. November: Gasthaus George in Southwark, nicht weit von Holborn. Ich hatte den Kreis beinahe geschlossen. Von dort gingen wir direkt zur Dover Street, und mein guter Freund, Mister Trumpet, machte seinen ersten Besuch in der Nummer 17.
    Der Schock brachte ihn beinahe um. Als er zurückkam, war er weiß wie das Gespenst, das er gesehen zu haben glaubte, bis auf die Haut durchnäßt, weil er stockstill im strömenden Regen gestanden hatte …
    Mein guter Freund, Mister Trumpet … Dies waren seine Tage, und er schwang sich zu ihnen auf wie ein Adler …
     
    Wir hatten verabredet, daß ich in einem nahegelegenen Wirtshaus im Warmen warten sollte. Was ich auch tat, wobei ich vor dem müßigen Feuer fast eine halbe Stunde vor Erwartung fror. Dann kam er zurück und erzählte mir, was er im Fenster von Nummer 17 gesehen hatte – und die ganze Welt war vergessen. Das arme Feuer, die braun angelaufenen Wände und die dunkle Decke, ja London selbst, alles schien sich aufzulösen, und ich war wieder auf der Charming Molly in jenen ersten hoffnungsvollen Tagen.
    Er sagte, er hätte einen Mann von der Charming Molly gesehen: einen Mann mit einer ländlichen Gesichtsfarbe und seltsamen Fischaugen.
    »Aber der sitzt in Weymouth im Gefängnis.«
    »Aber der ist in der Dover Street.«
    »Sie sind verrückt geworden, Mister Trumpet.«
    »Die Natur auch, Jack Holborn: denn sie hat ihrer zwei gemacht.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Zwillinge, Jack Holborn. Sie sind Zwillinge. Zwei Brüder mit dem gleichen Gesicht.«
    »Mein Gott, Mister Trumpet! Mein Gott!«
    »Ja, wirklich, Jack – viel anderes ist nicht übrig, worauf man vertrauen könnte – stimmt’s alter Freund? Falls nicht der Teufel sein Zwilling ist –«
    Er schwieg eine Weile und fuhr dann halb im Selbstgespräch fort: »Der Mann in Weymouth ist der Richter, denn er kannte mich. Der Mann in der Dover Street ist der andere: und der kennt dich, Jack. Er kennt dich von den ersten Tagen an Bord der Molly, bevor ich kam. Das ist der Grund dieser Botschaft. Ja, natürlich! Um Gottes willen, bring nicht den Jungen mit!« Er zog die Schultern hoch und furchte die Stirn, begann sich dann gewisser Dinge zu erinnern, die er vor langer Zeit gehört hatte: daß Lord Sheringham einen Besitz an der Südküste hatte; daß Lord Sheringham wegen Familienschwierigkeiten selten dorthin ging; daß es vage und dunkle Gerüchte gab, er hätte einen Bruder … sehr ähnlich … aber nicht so ehrenwert …
    Gott mußte wissen, was für eine hassenswerte Schande und Schuld die Existenz eines so verkommenen Zwillings über den Richter gebracht hatte. Die ständige Panik, daß dieser Mann manchmal zurück kam und mit ihm verwechselt wurde. Der Gedanke, daß seine ganze eigene Ehre und Rechtlichkeit wie ein geliehener Anzug getragen und höchst böswillig befleckt werden konnten. Und er muß Grund gehabt haben, das zu fürchten. Vielleicht nicht so sehr für sich selbst, sondern für die, die verführt und durch das, was sie für Tugend hielten, ruiniert und verdammt wurden. Denn kein Übel ist so scheußlich wie das, das man für Güte hält.
    »Hat er denn – seinen Bruder töten wollen?«
    »Ich nehme an, er ist soweit getrieben worden – es mit seinen eigenen Händen zu tun, Jack. Denn er hat sich nie dazu aufraffen können, ihn öffentlich hängen zu lassen. Aber als sich ihm eine Chance bot –«
    »– der Hinterhalt?«
    »Der Hinterhalt. Ein doppelter Verrat, nehme ich an. Dein Kapitän war dafür gerüstet. Gott im Himmel! Was das für ein Treffen gewesen sein muß – da im Dunkel am Strand. So kämpften sie

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