Jack Holborn
mildtätigen Nachwort, indem er mich bat, die bedürftige Dame zu entlohnen, die den Brief überbrachte. Würde ich ihr einen Sovereign geben, da er dummerweise seinen Geldbeutel zu Hause gelassen hätte? Er schrieb ihren Namen dazu, damit sie auch recht verstünde, daß sie für einen gut ausgeführten Auftrag bezahlt wurde. Er hatte nicht den Wunsch, sie zu demütigen. Sie wurde »Mrs. London« genannt.
Der Brief kam um zehn Uhr morgens, um sieben Uhr desselben Abends war ich auf dem Weg nach Newgate. Das war meine eigene Entscheidung. Niemand hatte meinen Gedanken nach dieser oder jener Seite einen Stoß gegeben. Mein letzter noch übriger Freund, Seine Lordschaft, hatte geschwiegen. Unbeteiligt, so schien es mir, hatte er zugesehen, wie ich auf der Strömung meiner unglücklichen Träume dahintrieb. Er wußte, daß ich von dem Schemen der Mrs. London heimgesucht wurde: »London«, wovon »Holborn« ein kleiner Teil ist; daß ich mich fragte, ob das der letzte große Schabernack war, den er mir spielte. Ihr trauriges und verwüstetes Gesicht stand mir dauernd vor Augen – wie es beabsichtigt war. Daß sie einmal ein Kind ausgesetzt hatte, war nicht schwer vorstellbar, aber daß ich dieses Kind gewesen war, war ein brutaler Gedanke.
Ungefähr um dreiviertel sieben sagte mir mein Freund unvermittelt, daß er die Kutsche für mich bestellt hätte, falls ich sie gebrauchen wollte. Dann ließ er mich stehen und ging in sein Arbeitszimmer, wo ihn ein großer Stapel Akten erwartete. Ich schob die Schuld an seiner Gleichgültigkeit und Geistesabwesenheit auf diese und auf Gedanken an Mister Trumpet. Es tat mir leid, daß mein Problem zu einer so ungünstigen Zeit auftauchen mußte.
Thomas, der stämmigste der Bedienten, fuhr mit mir in der Kutsche: ein großer Pudding von einem Mann, der die ganze Zeit auf seine Hände starrte, als frage er sich, was sie im Sinne hätten.
Newgate stank wie die Bilge von ganz London. Man kriegte schon eine halbe Meile entfernt gelegentliche Duftproben. Ich folgte Thomas: er kannte sich gut aus. Er fragte den Wärter, wo unser Mann zu finden wäre.
Der Platz, in dem er untergebracht war, war sehr voll: das gefiel ihm so. Man hatte ihm eine bessere Unterkunft angeboten –, ja sogar schon bezahlt – aber er hatte abgelehnt. Ich spähte durch das Gitter.
»Wollen Sie rein?«
»Gleich – gleich!«
Der Wärter und Thomas murmelten und zogen sich ein bißchen im Gang zurück, während ich in den Schmelztiegel von Gelaß hineinstarrte.
Er war beschäftigt. Zu einer solchen Zeit ist Beschäftigung gut für den Menschen. Grübeln macht marode und verrückt – und führt zu unziemlichen Szenen am Galgen.
Es war ihm gelungen, sich sauber und vornehm zu halten. Man entdeckte kein Anzeichen von Verzweiflung. Er ragte heraus, da er entschieden, zuversichtlich und unbekümmert war. Andere lehnten, schlichen, murmelten, beklagten sich bei ihren Besuchern, stritten sich verdrossen, versuchten zu dösen. Er blieb lebendig. Die Niedergeschlagenheit erregte ihn und machte ihn fast zum Sieger, da er darüberstand.
Ein Mann, der dran war, am Morgen gehängt zu werden, zog ihn mächtig an. Mehrere Male ging er hin und starrte ihn in unverwüstlich guter Laune an. Der Kerl hatte offensichtlich Angst: weiß wie ein Laken. Der Gedanke an das Kommende raubte ihm fast den Verstand. Man konnte ihn nicht aufmuntern, nicht einmal mit der Prophezeiung, daß er jetzt zwar bleich sei, aber demnächst, am Morgen, violett und lila sein würde. Hatte er Löcher in den Strümpfen? Er solle sich lieber vergewissern, denn er würde die Schuhe wegstrampeln, wenn er in der Luft tanzte.
Diese und andere Scherze machten den armen Mann zu Sülze und verschlimmerten seinen Zustand so, daß selbst die Bitten seiner Frau ihn nicht aufrichten konnten. Was von ihm noch übrig war, der in seinen Ketten lag, mit den Fäusten auf den Stein hämmerte und unverständliches Zeug schrie, war so wenig Mann, daß es kaum die Mühe seiner Frau lohnte, bei ihm zu bleiben. Sie sollte lieber nach Hause gehen und denken, je schneller ihr Mann aufgeknüpft sei, um so besser wäre es für alle Beteiligten.
Aber sie weigerte sich zu gehen und tat ihr Bestes, zu trösten und ihm ein paar Worte des Friedens und der Liebe zu entlocken, damit sie ihn in besserer Erinnerung behielte.
Zwischendurch beschimpfte sie seinen Quälgeist mit lauter Stimme: sie hoffte und betete, daß man ihn langsam aufhängen würde, und wenn es ihre letzte Tat
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