Jack McEvoy 01 - Der Poet
erzählen.«
»Du hast ihn doch kennen gelernt. Du musst einen Eindruck von ihm haben.«
»Er war nicht gerade kooperativ. Damals lief gerade sein Revisionsverfahren, und er befürchtete, dass wir das, was er sagte, gegen ihn verwenden könnten. Wir alle haben versucht, ihn zum Reden zu bringen. Schließlich - ich glaube, es war Bobs Idee gewesen - erklärte er sich bereit, in der dritten Person mit uns zu reden. So, als sei der Mann, der die Verbrechen begangen hatte, jemand anders gewesen.«
»Hat Bundy das nicht auch getan?«
Ich erinnerte mich daran, in einem Buch darüber gelesen zu haben.
»Ja. Und viele andere auch. Die meisten dieser Männer haben ein gewaltiges Ego. Sie wollten mit uns reden, aber sie mussten sicher sein, dass sie keine juristischen Konsequenzen zu befürchten brauchten. Gladden war auch so einer. Zumal seit er wusste, dass sein Revisionsverfahren einige Aussicht auf Erfolg hatte. Aber diese Leute bessern sich nicht, Jack, und sie fügen sich auch nicht wieder in die Gesellschaft ein. Sie bleiben, was sie sind.«
Sie sagte es wie eine Warnung, und es war ihre zweite derartige Andeutung. Ich dachte für einen Augenblick darüber nach und fragte mich, ob sie mir damit noch mehr sagen wollte. Oder warnte sie in Wirklichkeit sich selbst?
»Und was hat er gesagt? Hat er euch etwas über Beltran oder die Best Pals erzählt?«
»Natürlich nicht, sonst hätte ich mich sofort erinnert, als ich Beltrans Namen auf der Liste der Opfer sah. Gladden hat keine Namen genannt. Aber er hat die übliche Missbrauchs-Entschuldigung geliefert. Sagte, er sei als Kind sexuell missbraucht worden. Häufig. Er sei damals ungefähr ebenso alt gewesen wie die Kinder, die er später in Tampa missbraucht hat. Das ist eine Art Zyklus, ein Muster, das uns oft begegnet. Es kommt zu einer Fixierung auf den Zeitpunkt in ihrem eigenen Leben, zu dem sie ... ruiniert worden sind.«
Ich nickte, sagte aber nichts, weil ich hoffte, dass sie fortfahren würde.
»Drei Jahre lang«, erzählte sie, »im Alter zwischen neun und zwölf. Es ist oft passiert und schloss orale und anale Penetration ein. Er sagte uns nicht, wer der Mann gewesen war, nur, dass es kein Verwandter gewesen war. Gladden zufolge hat er es seiner Mutter nie gesagt, weil er Angst vor diesem Mann hatte. Der Mann drohte ihm. Er war eine Art Autoritätsperson in seinem Leben. Hinterher hat Bob versucht, mehr herauszufinden, aber nichts erreicht. Gladdens Angaben waren nicht genau genug, als dass er ihnen hätte nachspüren können. Gladden war damals schon über Zwanzig, die Zeit, in der er missbraucht worden war, lag also etliche Jahre zurück. Wir hätten Probleme mit der Verjährung gehabt, selbst wenn wir etwas herausgefunden hätten. Wir konnten nicht einmal seine Mutter ausfindig machen, um sie darüber zu befragen. Sie war nach seiner Verhaftung und der ganzen Publicity aus Tampa fortgezogen. Heute können wir natürlich davon ausgehen, dass der Mann, der ihn missbraucht hat, Beltran war.«
Ich nickte. Ich hatte mein Bier ausgetrunken, aber Rachel hatte nur ein paar Mal an ihrem genippt. Es schmeckte ihr nicht. Ich winkte die Kellnerin heran und bestellte ein Amstel Light für sie. Ich sagte, ich würde ihren Black and Tan austrinken.
»Und wie hat er aufgehört? Der Missbrauch, meine ich.«
»Das ist die tragische Ironie, die uns so oft begegnet. Er hörte auf, als Gladden für Beltran zu alt wurde. Beltran stieß ihn beiseite und wendete sich seinem nächsten Opfer zu. Sämtliche Jungen, um die er sich im Rahmen des Best-Pal-Programms kümmerte, werden zur Zeit ausfindig gemacht und sollen vernommen werden. Ich wette, sie wurden alle von ihm missbraucht. Beltran ist der böse Samen, der all dies hervorgebracht hat, Jack. Sieh zu, dass das klar wird, wenn du darüber schreibst. Beltran hat bekommen, was er verdient hat.«
»Das hört sich an, als brächtest du Mitgefühl für Gladden auf.«
Ich hatte etwas Falsches gesagt. Zorn flackerte in ihren Augen auf.
»Du hast verdammt Recht, ich bringe Mitgefühl für ihn auf. Aber das bedeutet nicht, dass ich irgendetwas von dem, was er getan hat, entschuldige oder dass ich ihn nicht erschießen würde, wenn ich die Gelegenheit dazu bekäme. Aber er hat das Ungeheuer, das in ihm steckt, nicht erfunden. Das wurde von jemand anders geschaffen.«
»Hör zu, ich wollte damit nicht andeuten ...«
Die Kellnerin kam mit dem Bier und bewahrte mich davor, dem falschen Pfad noch weiter zu folgen. Ich zog
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