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Jack McEvoy 01 - Der Poet

Jack McEvoy 01 - Der Poet

Titel: Jack McEvoy 01 - Der Poet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Solange man sich im Kreuzfeuer nicht selbst eine Kugel einfing.
    Er hielt vor dem Eingang, und ich stieg aus und steckte den Kopf noch einmal in den Wagen.
    »Gerade ist Ihre wahre Identität zum Vorschein gekommen, mein Freund.«
    Er lächelte.
    »Kann sein.«
16
    Alle dreizehn Akten waren dünn. Sie enthielten den vom FBI und der Foundation ausgearbeiteten fünfseitigen Protokoll-Fragebogen und in der Regel nur ein paar weitere Seiten mit zusätzlichen Anmerkungen oder Aussagen von Kollegen des Verstorbenen.
    Die meisten Geschichten waren sich sehr ähnlich. Stress bei der Arbeit, Alkohol, Eheprobleme, Depressionen. Grundformeln für den Polizisten-Blues. Aber die Depressionen waren der Schlüssel. In fast sämtlichen Akten hieß es, dass das Opfer unter jobbedingten Depressionen der einen oder anderen Art gelitten habe. Aber nur in einigen wenigen wurde erwähnt, dass ein spezieller, zumeist ungelöster Fall dem Kollegen besonders zu schaffen gemacht hatte.
    Ich überflog die Zusammenfassungen sämtlicher Protokolle und sortierte rasch etliche Fälle aus verschiedenen Gründen aus. Entweder waren die Selbstmorde vor Zeugen begangen worden oder unter Umständen erfolgt, die eine Vortäuschung ausschlossen. Acht Fälle blieben übrig. Zumindest der Zusammenfassung nach schienen sie zu passen. Bei jedem dieser Selbstmorde wurde erwähnt, dass ein spezifischer Fall das Opfer belastet hatte.
    Meine Vorgaben waren die Last eines ungelösten Falls und die Poe-Zitate. Deshalb konnte ich zwei weitere Fälle ausscheiden, bei denen ich nämlich Hinweise auf Abschiedsbriefe fand. In beiden Fällen waren sie an eine bestimmte Person gerichtet gewesen, in einem Fall an die Mutter, im anderen an die Ehefrau, und enthielten Bitten um Verständnis und Verzeihung. Nichts, was einer Verszeile oder etwas Ähnlichem gleichkam. Ich legte sie beiseite. Damit blieben noch sechs.
    Bei der Lektüre von einer dieser restlichen Akten stieß ich in einer Anlage auf die Abschiedsworte des Opfers - nur eine Zei le, genau wie bei meinem Bruder und bei Brooks. Als ich die Worte las, durchfuhr mich ein eiskalter Schauder. Denn ich kannte sie.
    Ich werde heimgesucht von bösen Engeln.
    Ich schlug rasch mein Notizbuch an der Stelle auf, wo ich die Strophe aus >Traumland< festgehalten hatte, die Laurie Prine mir diktiert hatte.
    Auf einem Wege, finster, einsam,
    heimgesucht von bösen Engeln,
    wo ein Eidolon DIE NACHT
    übt auf schwarzem Throne Macht,
    fand aus fernstem, düstrem Thule
    jüngst erst her ich in dies Land,
    aus einer Gegend, wild und weit,
    jenseits von RAUM - jenseits von ZEIT.
    Da hatte ich es schwarz auf weiß. Mein Bruder und Morris Kotite, ein Detective in Albuquerque, der sich angeblich mit einem Schuss in die Brust und einem weiteren in die Schläfe umgebracht hatte, hatten Selbstmord-Nachrichten hinterlassen, die aus ein und derselben Gedichtstrophe stammten. Das war das Bindeglied.
    Aber meine Gefühle des Triumphs und der Erregung wichen rasch einer tiefen, unglaublichen Wut. Ich war wütend über das, was meinem Bruder und diesen anderen Männern passiert war. Ich war wütend auf die lebenden Cops, weil sie das nicht früher erkannt hatten, und mir fielen Wexlers Worte wieder ein, nachdem ich ihn überzeugt hatte, dass mein Bruder ermordet worden war.
    Ein Scheißreporter. Jetzt verstand ich seine Wut. Aber in erster Linie empfand ich einen ohnmächtigen Zorn gegenüber dem Kerl, der das getan hatte, und über den ich so wenig wusste. Der Mörder war, seinen eigenen Worten zufolge, ein Eidolon. Ich jagte ein Phantom.
    Das Durchsehen der letzten fünf Akten kostete mich eine Stunde. Bei dreien von ihnen machte ich mir Notizen, die anderen beiden sortierte ich aus. Eine davon kam nicht in Frage, weil der Tod am selben Tag eingetreten war, an dem John Brooks in Chicago umgebracht wurde. In Anbetracht der Pla nung, die jedem dieser Morde vorausgegangen sein musste, war es höchst unwahrscheinlich, dass zwei an einem Tag begangen worden waren.
    Der andere Fall schied aus, weil der Selbstmord des Cops unter anderem seiner Verzweiflung über die grauenhafte Entfüh rung und anschließende Ermordung eines jungen Mädchens auf Long Island, New York, zugeschrieben worden war. Obwohl es keine Botschaft gab, hatte es zuerst so ausgesehen, als könne der Fall in mein Schema passen. Doch als ich die ganze Akte ge lesen hatte, wusste ich, dass dieser Detective den Entführungs- und Mordfall mit der Verhaftung eines Verdächtigen

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