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Jack McEvoy 01 - Der Poet

Jack McEvoy 01 - Der Poet

Titel: Jack McEvoy 01 - Der Poet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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suchte auf der kleinen Liste nach dem Preis. Sechs Dollar. Ich studierte die Liste und die unverschämt hohen Preise, nur um beschäftigt zu sein.
    Endlich spürte ich, wie der Alkohol mich wärmte. Ich setzte mich auf das Bett und sah auf die Uhr. Es war Viertel vor fünf. Ich brauchte Schlaf. Musste zu mir kommen. Ich schlüpfte unter die Decke und holte das Buch vom Nachttisch. Ich schlug >Der See< auf und las das Gedicht noch einmal. Meine Augen kehrten immer wieder zu den beiden Zeilen zurück:
    Tod war in der finstern Schlucht,
    in gift‘gen Wellen eine Gruft.
    Endlich gewann die Erschöpfung die Oberhand über meine quälenden Gedanken. Ich legte das Buch beiseite und ließ mich tiefer sinken. Danach schlief ich den Schlaf der Toten.
17
    Es verstieß gegen Gladdens Instinkte, in der Stadt zu bleiben, aber noch konnte er nicht verschwinden. Es gab Dinge, die er erledigen musste. Die Eilüberweisung würde in ein paar Stunden bei der Filiale der Wells Fargo eingehen, und er brauchte eine neue Kamera. Das war unerlässlich, und er konnte sich keine besorgen, wenn er nach Fresno unterwegs war oder sonst wohin flüchtete. Also musste er in L. A. bleiben.
    Er schaute in den Spiegel über dem Bett und betrachtete sich. Seine Haare waren jetzt schwarz. Er hatte sich seit Mittwoch nicht mehr rasiert, und die Bartstoppeln waren schon ziemlich dicht. Er holte die Brille vom Nachttisch und setzte sie auf. Die farbigen Kontaktlinsen hatte er in dem In N Out, wo er am Abend zuvor gegessen hatte, in die Mülltonne geworfen. Er schaute wieder in den Spiegel und lächelte über sein verändertes Aussehen. Er war ein neuer Mann.
    Dann warf er einen Blick auf den Fernseher. Eine Frau praktizierte mit einem Mann oralen Sex, während ein anderer sie gleichzeitig von hinten nahm. Der Ton war ausgeschaltet, aber er wusste, wie er sich anhören würde. Der Fernseher war die ganze Nacht über an gewesen. Die Pornofilme, die im Zimmerpreis inbegriffen waren, erregten ihn kaum, weil die Akteure alle zu alt waren und einen weltverdrossenen Eindruck machten. Sie waren widerlich. Trotzdem ließ er den Fernseher laufen. Er half ihm, sich zu erinnern, dass alle Menschen unheilige Gelüste hatten.
    Er schaute wieder in sein Buch und begann, das Gedicht von Poe abermals zu lesen. Inzwischen kannte er es längst auswendig. Trotzdem liebte er es, die Worte auf dem Papier zu sehen und das Buch in der Hand zu halten. Er empfand es irgendwie als tröstlich.
    In Visionen der dunklen Mitternacht
    träumt’ ich vergang‘ner Freuden Pracht –
    doch ein Wachtraum von Leben, Licht und Glück
    ließ mich gebroch’nen Herzens zurück.
    Gladden setzte sich auf und legte das Buch beiseite. Er hatte einen Wagen gehörte, der vor seinem Zimmer anhielt. Er trat ans Fenster und lugte durch die Vorhänge hinaus auf den Parkplatz. Die Sonne tat seinen Augen weh. Der Wagen gehörte irgendwelchen Leuten, die gerade ein Zimmer gemietet hatten. Einem Mann und einer Frau. Beide schienen betrunken zu sein, und dabei war es noch nicht einmal Mittag.
    Gladden wusste, dass es Zeit zum Ausgehen war. Zuerst brauchte er eine Zeitung, um nachzuschauen, ob etwas über Evangeline darin stand. Oder über ihn selbst. Dann zur Bank. Dann die Kamera besorgen. Danach würde er vielleicht, sofern noch Zeit dazu war, auf Suche gehen.
    Er wusste, je öfter er sich drinnen aufhielt, desto besser standen seine Chancen, nicht entdeckt zu werden. Doch er hatte auch das Gefühl, seine Spuren ausreichend verwischt zu haben.
    Seit dem Verlassen des Star Motel in Hollywood hatte er zweimal das Motel gewechselt. Das erste Zimmer in Culver City hatte er nur dazu benutzt, sich die Haare zu färben. Danach hatte er sauber gemacht, sämtliche Fingerabdrücke abgewischt und war wieder verschwunden. Dann war er im Valley in die Absteige gezogen, in der er jetzt saß, das Bon Soir Motel am Ventura Boulevard in Studio City. Vierzig Dollar pro Nacht, drei Kanäle mit Erwachsenenfilmen inbegriffen.
    Als Namen hatte er Richard Kidwell angegeben. So lautete der Name auf seinem letzten Satz Papiere. Er würde sich ins Netz einklinken und ein paar neue einhandeln müssen. Gleichzeitig brauchte er eine Deckadresse, an die die neuen Papiere ge schickt werden konnten. Das war ein weiterer Grund, weshalb er in L. A. bleiben musste, zumindest noch eine Zeit lang. Er setzte die Deckadresse auf die Liste der zu erledigenden Dinge.
    Während er seine Hose anzog, warf er erneut einen Blick auf den Fernseher. Eine

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